Können Vernunft und Glaube Freunde werden?

Die Kir­chen argu­men­tie­ren, dass wis­sen­schaft­li­ches Welt­bild und Chris­ten­tum sich nicht aus­schlie­ßen. Aber diese Behaup­tung ist frag­wür­dig. Ein Essay von Uwe Lehnert.

Tages­pie­gel vom 18. 6. 2015
www.tagesspiegel.de/wissen/religion-koennen-vernunft-und-glaube-freunde-werden/11936378-all.html

Vor kurzem wider­sprach auf Tagesspiegel.de der Theo­loge Heinz-Werner Kubitza der These, dass Theo­lo­gie eine Wis­sen­schaft sei. Von gegen­tei­li­ger Auf­fas­sung war dar­auf­hin der Pres­se­spre­cher des Erz­bis­tums Berlin, Stefan Förner. Die Frage scheint unge­klärt: Gibt es einen unüber­brück­ba­ren Gegen­satz zwi­schen dem christ­li­chen Glau­ben und einer nur der Logik und Über­prüf­bar­keit ver­pflich­te­ten Denk­hal­tung? Oder ist dieser Gegen­satz durch “ver­nünf­tige” Gründe oder durch glau­bens­mä­ßige Über­zeu­gun­gen auf­heb­bar? In diesem Essay ver­su­che ich, eine Ant­wort zu geben.

Ursprüng­lich unter­schied mensch­li­ches Nach­den­ken noch nicht zwi­schen reli­giö­sem Emp­fin­den und ver­nunft­ge­lei­te­tem Denken. Reli­giö­ser Glaube wurde in frü­hes­ten Zeiten ganz wesent­lich durch das bestimmt, was man sinn­lich erlebte und gefühls­mä­ßig emp­fand und was aus dem über­lie­fer­ten Mythos folgte. Dabei stan­den im Zwei­fel die “Wahr­hei­ten” der Reli­gion stets über aller Ver­nunft. Päpst­li­che Lehre möchte diesen “unschul­di­gen” Zustand wieder her­stel­len und argu­men­tiert, dass die Erkennt­nisse der (Natur-)Wissenschaften in eine “höhere Wahr­heit” ein­ge­bet­tet seien, zu der nur der Glaube Zugang hätte.

 Ergänzen sich Vernunft und Glaube?

Papst Johan­nes Paul II. hat sich anläss­lich einer Anspra­che vor Wis­sen­schaft­lern und Stu­den­ten 1980 im Kölner Dom so geäu­ßert: “Denn zwi­schen einer Ver­nunft, welche durch ihre gott­ge­ge­bene Natur auf Wahr­heit ange­legt und zur Erkennt­nis der Wahr­heit befä­higt ist, und dem Glau­ben, der sich der glei­chen gött­li­chen Quelle aller Wahr­heit ver­dankt, kann es keinen grund­sätz­li­chen Kon­flikt geben.”

Das klingt fast nach einer respekt­vol­len Aner­ken­nung der Ver­nunft durch den Glau­ben. Zwei Sätze später wird die Katze aus dem Sack gelas­sen: “Damit zeigt sich zugleich, dass Glaube und Wis­sen­schaft ver­schie­de­nen Erkennt­nis­ord­nun­gen zuge­hö­ren, die nicht inein­an­der über­führ­bar sind.”

Mit ande­ren Worten: Die Wis­sen­schaft mag her­aus­fin­den, was sie will, der Glaube wird sich davon prin­zi­pi­ell nicht und nie­mals beein­flus­sen lassen. Wenige Absätze später hört es sich zunächst ähn­lich auf­ge­klärt an: “Es [das kirch­li­che Lehr­amt unter Beru­fung auf das II. Vati­ca­num, U. L.] hat aus­drück­lich die Unter­schied­lich­keit der Erkennt­nis­ord­nun­gen von Glaube und Ver­nunft aus­ge­spro­chen, es hat die Auto­no­mie und Frei­heit der Wis­sen­schaf­ten aner­kannt und ist für die Frei­heit der For­schung ein­ge­tre­ten. Wir fürch­ten nicht, ja, wir halten es für aus­ge­schlos­sen, dass eine Wis­sen­schaft, die sich auf Ver­nunft­gründe stützt und metho­disch gesi­chert fort­schrei­tet, zu Erkennt­nis­sen gelangt, die in Kon­flikt mit der Glau­bens­wahr­heit kommen.”

Die Vernunft soll für die “ewige Wahrheit” geöffnet werden

Dies klingt wieder über­ra­schend ein­sich­tig. Doch die Rück­nahme folgt auf dem Fuß: “Dies kann nur dort der Fall sein, wo die Unter­schied­lich­keit der Erkennt­nis­ord­nun­gen über­se­hen oder ver­leug­net wird.” Zum Ende seiner Aus­füh­run­gen spricht der Papst offen aus, was er wirk­lich meint: “Die Ver­nunft des Men­schen ist ein groß­ar­ti­ges Instru­ment für die Erkennt­nis und Gestal­tung der Welt. Sie bedarf aber, um die ganze Fülle der mensch­li­chen Mög­lich­kei­ten zur Ver­wirk­li­chung zu brin­gen, einer Öff­nung für das Wort der ewigen Wahr­heit, das in Chris­tus Mensch gewor­den ist.”

Ähn­lich kühn und nur behaup­tend äußert sich der evan­ge­li­sche Theo­loge und frü­here Bischof Wolf­gang Huber in seinem Buch “Der christ­li­che Glaube”: “Zur christ­li­chen Frei­heit gehört auch die Frei­heit, sich seines Ver­stan­des zu bedie­nen. Aber zu dieser Frei­heit gehört auch die Ein­sicht, dass die mensch­li­che Ver­nunft end­lich ist, und dass es sich beim Kult der Ver­nunft um eine Form des Göt­zen­diens­tes han­delt. Es dient der christ­lich ver­stan­de­nen Frei­heit, wenn die Ver­nunft dem Glau­ben nach­folgt und in seinen Dienst ein­tritt.” … “Eine nicht durch den Glau­ben auf­ge­klärte Ver­nunft bleibt uner­fah­ren und unauf­ge­klärt, weil sie sich keine Rechen­schaft über ihre Gren­zen ablegt. Sie ver­kennt ihren Cha­rak­ter als end­li­che Ver­nunft, dem Men­schen anver­traut, damit er mit seiner end­li­chen Frei­heit umzu­ge­hen lerne.”

Dann immer­hin ein­schrän­kend: “Ein nicht durch die Ver­nunft auf­ge­hell­ter Glaube aber trägt die Gefahr in sich, bar­ba­risch und gewalt­tä­tig zu werden. Statt­des­sen ist es nötig, die wech­sel­sei­tige Ver­wie­sen­heit von Ver­nunft und Glau­ben immer wieder neu zu entfalten.”

Begriffe wie “Kult der Ver­nunft” und “Göt­zen­dienst” zeigen deut­lich, welche nach­ge­ord­nete Rolle Alt­bi­schof Huber der Ver­nunft zuweist. Und Papst Johan­nes Paul II. spricht von “Öff­nung [der Ver­nunft] für das Wort der ewigen Wahr­heit, das in Chris­tus Mensch gewor­den ist”. Nach­voll­zieh­bare Gründe für diese Fest­stel­lun­gen sind für mich nicht erkenn­bar, ledig­lich theo­lo­gisch ein­ge­klei­dete Behaup­tun­gen werden auf­ge­stellt. Früher hatte die Phi­lo­so­phie als Magd der Theo­lo­gie zu dienen, eine Funk­tion, die nach der selbst­be­wuss­ten Defi­ni­tion obers­ter Glau­bens­re­prä­sen­tan­ten offen­bar heute die Ver­nunft gegen­über dem Glau­ben ein­zu­neh­men hat. Der Theo­loge Richard Schrö­der spricht im Unter­ti­tel seines Buches “Abschaf­fung der Reli­gion?” ver­all­ge­mei­nernd und gera­dezu ver­ächt­lich gar von “wis­sen­schaft­li­chem Fanatismus”.

 Die Wissenschaft, auch ein Glaube?

In Dis­kus­sio­nen zu dieser Frage wird an dieser Stelle gern die Fest­stel­lung getrof­fen, dass hier eben “punkt­gleich reli­giö­ser Glaube gegen wis­sen­schaft­li­chen Glau­ben” stehe? Aber ist dem wirk­lich so? Reli­giö­ser, hier christ­li­cher Glaube baut im Kern auf Dogmen auf, also auf angeb­lich offen­bar­ten Aus­sa­gen, die zudem für alle Zeiten Gül­tig­keit bean­spru­chen, also in ihrer Grund­aus­sage unre­vi­dier­bar sind, weil auf gött­li­ches Wort und gött­li­chen Willen zurück­ge­hend. Wis­sen­schaft dage­gen “glaubt” nicht, sie gewinnt ihre Erkennt­nisse durch metho­disch-sys­te­ma­ti­sches Beob­ach­ten und über­prüft ihre Erkennt­nisse und Theo­rien an der Rea­li­tät. Wis­sen­schaft recht­fer­tigt ihr Vor­ge­hen und ihre Aus­sa­gen durch die abschlie­ßende Über­prü­fung der Über­ein­stim­mung von Theo­rie und Praxis, also zum Bei­spiel im kor­rek­ten Ein­tref­fen einer Vor­aus­sage. Und Wis­sen­schaft setzt auf Begrün­dung, zumin­dest Evi­denz, inter­sub­jek­tive Nach­voll­zieh­bar­keit und logi­sche Widerspruchsfreiheit.

Die Theo­lo­gie spricht gern vom »wis­sen­schaft­li­chen Glau­ben« und ver­sucht damit zu sug­ge­rie­ren, dass auch Wis­sen­schaft, selbst die Natur­wis­sen­schaft, von Vor­aus­set­zun­gen aus­ginge, die Glau­bens­cha­rak­ter hätten. Aber solche Annah­men kennt die Wis­sen­schaft nicht. Zwar arbei­tet auch Wis­sen­schaft nicht vor­aus­set­zungs­los, aber die still­schwei­gende Set­zung von Behaup­tun­gen oder die Vor­weg­nahme von Ergeb­nis­sen, die erst zu bewei­sen sind, kennt sie nicht. Wis­sen­schaft stellt keine Behaup­tun­gen auf, die Vor­aus­set­zun­gen wären für ihre Unter­su­chungs­er­geb­nisse. Das aber tut die Theo­lo­gie, wenn sie als wahr vor­aus­setzt, dass Gott exis­tiert, dass Jesus auf­er­stan­den ist oder dass bei­spiels­weise Jesus Got­tes­sohn ist. Eine auf sol­chen Vor­aus­set­zun­gen auf­bau­ende Dis­zi­plin kann Wis­sen­schaft­lich­keit nicht bean­spru­chen und seien ihre daraus fol­gen­den Unter­su­chungs­er­geb­nisse noch so logisch ein­wand­frei und metho­disch-sys­te­ma­tisch ent­wi­ckelt und in sich wider­spruchs­frei. Die Theo­lo­gie muss um ihrer Exis­tenz willen solche Vor­aus­set­zun­gen machen. Die Reli­gi­ons­wis­sen­schaft hat solche Vor­ga­ben nicht nötig, sie erfüllt folg­lich die Kri­te­rien der Wissenschaftlichkeit.

Die ver­zwei­fel­ten Ver­su­che der Theo­lo­gen und Reli­gi­ons­ver­tre­ter, die Ver­nunft an die Kette des Glau­bens zu legen, machen eines deut­lich: Ihr Gegner ist nicht der Nicht-Glaube oder gar der Athe­is­mus, son­dern die Wis­sen­schaft, ins­be­son­dere eine natur­wis­sen­schaft­li­che Bil­dung und die ihr zugrunde­liegende ratio­nale, an der Wirk­lich­keit ent­wi­ckelte Denk­weise. Natur­wis­sen­schaft ist Wirk­lich­keits­wis­sen­schaft, Theo­lo­gie dage­gen eine Art Tran­szen­denz­kunde. Gott als Gegen­stand der Theo­lo­gie ist ein ima­gi­nier­tes, also vor­ge­stell­tes Phä­no­men, dessen Exis­tenz zwar nicht wider­legt, aber auch nicht ein­sich­tig belegt werden kann. Die Natur­wis­sen­schaf­ten denken und for­schen ergeb­nis­of­fen, für die Theo­lo­gie steht auf­grund von Offen­ba­rung die Wahr­heit im Prin­zip schon fest, sie muss nur noch gedeu­tet und in den jewei­li­gen sach­li­chen und zeit­li­chen Kon­text gestellt werden.

Die Natur­wis­sen­schaf­ten haben als Wahr­heits­kri­te­rium die Empi­rie, die beob­ach­tete Wirk­lich­keit. Ein sol­ches ihre Theo­rien wahr­heits­nä­her machen­des Kor­rek­tiv haben die Theo­lo­gen nicht. Zwar ver­su­chen sie, ihre theo­lo­gi­schen Kon­struk­tio­nen in sich wider­spruchs­frei zu halten, aber das bedeu­tet nicht, dass diese Gedan­ken­ge­bäude irgend­eine reale Basis in der Wirk­lich­keit haben müssen. Und wie soll auch der Wahr­heits­be­weis für etwas objek­tiv Unprüf­ba­res erbracht werden? Wie man jedoch sieht, kann ein in sich – wenigs­tens in Teilen – logisch stim­mi­ges System von theo­lo­gi­schen Behaup­tun­gen und Schluss­fol­ge­run­gen in einer gedank­li­chen Welt und auf Papier die Jahr­hun­derte über­dau­ern. Es ist ja, da nur gedank­lich-begriff­lich exis­tie­rend, auch empi­risch nicht widerlegbar.

 Eine “höhere Wahrheit” überwindet den Widerspruch

Es gibt gläu­bige Natur­wis­sen­schaft­ler, die ver­nei­nen, dass es einen Gegen­satz zwi­schen Glau­ben und Ver­nunft, zwi­schen Reli­gion und Natur­wis­sen­schaft gäbe. Dabei gibt man vor, Gegen­sätz­li­ches zwi­schen Glau­ben und Ver­nunft dadurch ver­ein­bar zu machen, dass man den Wider­spruch zu einer »höhe­ren Wahr­heit« erhebt, die sich unse­rem mensch­li­chen Ver­ständ­nis ent­zöge. Ich sehe jedoch keinen Grund, solche theo­lo­gi­schen Kon­struk­tio­nen wie eine »höhere Wahr­heit« zu akzep­tie­ren, kann man doch der behaup­te­ten Ver­träg­lich­keit von Glau­ben und Wissen schon mit unmit­tel­bar ein­sich­ti­gen Grün­den widersprechen:

Ein Gott, der angeb­lich Welt und Mensch erschuf und bis heute in unser Leben ein­grei­fen würde, eine von der Mate­rie unab­hän­gige und unsterb­li­che Seele, die uns mit Gott ver­bin­den würde, das Für­wahr­hal­ten von Wun­dern wie die Auf­er­ste­hung von Jesus und seine Him­mel­fahrt – alles das sind Glau­bens­ele­mente, die einem natur­wis­sen­schaft­li­chen Welt­bild, das heute kausal geschlos­sen beschrie­ben und in seinen Struk­tu­ren weit­ge­hend erklärt werden kann, dia­me­tral ent­ge­gen­ste­hen, man könnte auch sagen: bezie­hungs­los neben dem Glau­ben stehen. Auch die Frage nach einem mora­li­schen Anker­punkt und die Frage nach dem Sinn des Lebens bedür­fen zu ihrer Beant­wor­tung keines Glau­bens an ein über­ir­di­sches Wesen. Dass Moral evo­lu­tio­när ent­stand und somit inner­welt­lich begründ­bar ist, das kann die Sozio­bio­lo­gie heute über­zeu­gend bele­gen. Und auch auf die Frage nach dem Sinn unse­res irdi­schen Daseins lässt sich aus huma­nis­tisch-phi­lo­so­phi­scher Per­spek­tive für mich viel Ein­sich­ti­ge­res und Über­zeu­gen­de­res als aus der Sicht eines Glau­bens sagen, der im alten Paläs­tina von Men­schen erdacht wurde, die von der Welt wenig wuss­ten und noch weni­ger davon verstanden.

Ein Physiker und Protestant – “vom Scheitel bis zur Sohle”

Der vom Fern­se­hen bekannte Astro­phy­si­ker und Phi­lo­soph Pro­fes­sor Harald Lesch ist in seiner Person ein Bei­spiel für eine mir höchst zwei­fel­haft erschei­nende Har­mo­nie von Natur­wis­sen­schaft und Reli­gion. Jeder, der ihn einmal erlebt hat, wie er ledig­lich mit Tafel und Kreide, oft nur mit Spra­che und Gestik, den Urknall erklärt, ist zunächst fas­zi­niert von seinen didak­ti­schen Fähig­kei­ten. Er kann erklä­ren und begeis­tern und uns inner­halb kurzer Zeit eine Vor­stel­lung von der über­wäl­ti­gen­den Pracht des Kosmos und der Ele­ganz der in ihm wal­ten­den Natur­ge­setze ver­mit­teln. Die Selbst­or­ga­ni­sa­tion der Natur kann er uns in bei­spiel­haft ver­ständ­li­cher Ein­fach­heit vor Augen führen, und zwar ohne jeden Rück­griff auf gött­li­ches Wirken.

Ande­rer­seits sagt er von sich, “ich bin vom Schei­tel bis zur Sohle Pro­tes­tant”. Ein Bekennt­nis, das auf­hor­chen und für einen Moment einem aka­de­mi­schen Lehrer seines For­mats respekt­voll Beach­tung schen­ken lässt. Aber man fragt sich sofort, wie zwei so gegen­sätz­li­che Kon­zepte unter­schiedlichster Natur zusam­men­pas­sen: eine in sich geschlos­sene, keine über­natürliche Kräfte benö­ti­gende Beschrei­bung des Natur­ge­sche­hens einer­seits und ein Glau­ben an einen mit Wun­dern ins Welt­ge­sche­hen ein­grei­fen­den Gott ande­rer­seits, an dessen Drei­ei­nig­keit mit Hei­li­gem Geist und Got­tes­sohn Jesus, an Erb­sünde und Opfer­tod zwecks Erlö­sung der Menschheit.

Eleganz und Einfachheit: Eine Kluft von 4000 Jahren

Dass er an eine Macht glaubt, die hinter allen Dingen stehe, könnte ich noch hin­neh­men. Denn auch Nicht­gläu­bige und Athe­is­ten haben keine ein­fa­chen, wenn über­haupt, Ant­wor­ten auf die Frage nach dem letz­ten Urgrund allen Seins. Aber die Künst­lich­keit und logi­sche Brü­chig­keit des christ­li­chen Glau­bens an einen all­mäch­ti­gen Gott, der die Mensch­heit erschaf­fen haben soll, die ihm aber trotz seiner All­mäch­tig­keit und All­wis­sen­heit so bös­ar­tig und sündig geriet, dass sie der Erlö­sung durch ein gött­lich ver­an­lass­tes Men­schen­op­fer bedürfe, ist – ich sage aus­drück­lich: für mich – von einer sol­chen Vor­sint­flut­lich­keit des Den­kens, dass ich mich frage, wie zwei so ver­schie­dene Kon­zepte und vor allem Denk­wei­sen ohne intel­lek­tu­elle Bedräng­nisse in einem Kopf neben­ein­an­der bestehen können. Kommen doch in diesem Gegen­satz von natur­wis­sen­schaft­li­cher Ele­ganz und legen­den­haf­ter Ein­fach­heit etwa 4000 Jahre Kul­tur­ge­schichte zum Ausdruck.

Ist es früh­kind­li­che Indok­tri­na­tion, von der Lesch sich nicht befreien kann? Ist es der Preis für eine ihm sonst nicht mög­li­che mediale Entfaltungs­möglichkeit und öffent­li­che Aner­ken­nung? Ist es ein bewuss­tes Akzep­tie­ren von Gegen­sätz­lich­kei­ten, weil keines der beiden Welt­bil­der für sich allein ihm eine Ant­wort auf das “Wie funk­tio­niert die Welt” und “Warum gibt es die Welt” dar­stellt? Den­noch: Die Durch­dacht­heit, innere Stim­mig­keit und Erklä­rungs­kraft unse­res heu­ti­gen natur­wis­sen­schaft­li­chen Welt­bil­des und die Ein­falt und Archaik des christ­li­chen Glau­bens lassen sich meines Erach­tens intel­lek­tu­ell red­lich nicht mit­ein­an­der ver­ein­ba­ren. Ein sol­ches zwei­ge­teil­tes Welt­bild kann nur hin­ge­nom­men werden, wenn Ein­heit­lich­keit, Stim­mig­keit, Plau­si­bi­li­tät, Ele­ganz als Kri­te­rien für eine den Intel­lekt befrie­di­gende Sicht auf die Welt keine Bedeu­tung bei­gemes­sen wird. Sol­ches Denken stellt für mich eine Flucht aus der Rea­li­tät in eine mys­ti­sche Welt von Wunsch und Phan­ta­sie dar.

Bei wei­te­rem Nach­fra­gen zieht man sich dann gern auf eine pan­the­is­ti­sche Auf­fas­sung zurück, also eine Vor­stel­lung, nach der Gott und Welt letzt­lich iden­tisch seien. Aber was sagt ein sol­cher­ma­ßen ver­all­ge­mei­ner­ter Got­tes­glaube noch? Und was ist mit den Kern­aus­sa­gen der christ­li­chen Lehre, wie ver­ein­ba­ren die sich mit einem sol­chen auf­ge­lös­ten Gottesbegriff?

 Die Bibel erzählt von Wundern und Weltentstehung

Gern wird von Gläu­bi­gen argu­men­tiert, dass Wis­sen­schaft und Reli­gion, Ver­nunft und Glau­ben sich schon des­we­gen nicht wider­spre­chen könn­ten, da sie unter­schied­li­chen Sphä­ren zuge­ord­net seien. Man sagt auch, dass beide Berei­che ortho­go­nal zuein­an­der stün­den, was heißen soll, dass der eine Bereich über den ande­ren nichts aus­sa­gen könne. Fest­zu­stel­len ist, dass die Wis­sen­schaft sich daran hält, nicht jedoch der Glaube. Die Bibel macht zum Bei­spiel Aus­sa­gen über die Ent­ste­hung der Welt und des Men­schen und behaup­tet, dass Jesus von einer Jung­frau gebo­ren wurde und später, obwohl bereits tot, wieder auf­er­stand und gen Himmel fuhr. Der Glaube macht also sehr wohl sehr kon­krete Aus­sa­gen über die Welt. Ihm darf daher auch aus welt­li­cher Sicht, also mit wis­sen­schaft­li­chen Argu­men­ten, wider­spro­chen werden. Ein Wis­sen­schaft­ler dage­gen wird über die Exis­tenz Gottes oder über offen­barte Glau­bens­wahr­hei­ten keine Aus­sa­gen machen. Seine Metho­den grei­fen hier nicht. Er kann dazu keine empi­ri­schen Daten erhe­ben, folg­lich keine prüf­ba­ren Hypo­the­sen for­mu­lie­ren, keine Gül­tig­keit bean­spru­chende Theo­rien auf­stel­len. Er kann allen­falls Plausibilitäts­überlegungen anstel­len, logi­sche Wider­sprüch­lich­kei­ten oder Unmög­lich­kei­ten aufzeigen.

Men­schen mit breit gefä­cher­ter Bil­dung sym­pa­thi­sie­ren immer weni­ger mit der Idee, dass es eines Men­schen­op­fers bedür­fen sollte, um eine außer­welt­li­che Wesen­heit zu besänf­ti­gen. Auch die im Glau­bens­be­kennt­nis bis heute beschwo­rene Hölle als Ort ewiger Folter ver­ein­bart sich schwer mit einem Denken, das sich an huma­nis­ti­schen oder men­schen­recht­li­chen Prin­zi­pien ori­en­tiert. An Wunder, wie die jung­fräu­li­che Geburt oder die Brot- und Wein­ver­meh­rung, von der Auf­er­ste­hung von den Toten und der Him­mel­fahrt ganz zu schwei­gen, will selbst ein grund­sätz­lich noch reli­giös ein­ge­stell­ter Mensch von heute so recht nicht mehr glauben.

Unser durch moderne Wis­sen­schaft und Phi­lo­so­phie sowie die Men­schen­rechte gepräg­tes Denken ent­fernt sich immer mehr von einer reli­giö­sen Welt, die noch Wunder, Men­schen­op­fer und ewige, das heißt nie­mals endende Bestra­fung kennt. Und ist die Idee eines barm­her­zi­gen und die Men­schen lie­ben­den Gottes – kri­tisch hin­ter­fragt in der berühm­ten Theo­di­zee – wirk­lich so über­zeu­gend ange­sichts des durch Mensch, aber auch die Natur aus­ge­lös­ten gren­zen­lo­sen Leids auf dieser Erde? Inso­fern ist Stefan För­ners Vor­wurf, dass Gläu­bige als “doof” ange­se­hen würden, nicht zutref­fend. Sie sind bezüg­lich der Grund­la­gen ihres Glau­bens jedoch unwis­send und unaufgeklärt.

Wer denkt, hinterfragt die Dinge

Die Akzep­tanz des christ­li­chen, eigent­lich jeden Glau­bens scheint mir nur mög­lich, wenn man die Ver­nunft dem Glau­ben unter­ord­net und die logi­schen und sach­li­chen Wider­sprü­che igno­riert. Auf den Grund gehen­des Denken ist nun einmal mit dem Hin­ter­fra­gen der Dinge ver­bun­den. Denken heißt des­halb immer auch, mit Grün­den zu zwei­feln. Genau das ist der Grund, wes­halb sich Ver­nunft und Glaube so schlecht vertragen.

Aber auch das gilt: Los­ge­löst von jeder wis­sen­schafts­theo­re­ti­schen Erör­te­rung ist für viele Men­schen ihr per­sön­li­cher Glaube eine Quelle des Tros­tes und der Hoff­nung, selbst wenn diesem jede ratio­nale Begrün­dung fehlt. Das funk­tio­niert, wenn man den Bereich des Glau­bens frei­hält von reflek­tie­ren­den, gar zwei­feln­den Über­le­gun­gen, »wenn also die Ver­nunft dem Glau­ben nach­folgt und in seinen Dienst ein­tritt«, wie Alt­bi­schof Huber meint.

 

Pro­fes­sor Uwe Leh­nert ist Autor des Buchs: “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung”, Tectum Verlag, Mar­burg 2015.