Die Kirchen argumentieren, dass wissenschaftliches Weltbild und Christentum sich nicht ausschließen. Aber diese Behauptung ist fragwürdig. Ein Essay von Uwe Lehnert.
Tagespiegel vom 18. 6. 2015
www.tagesspiegel.de/wissen/religion-koennen-vernunft-und-glaube-freunde-werden/11936378-all.html
Vor kurzem widersprach auf Tagesspiegel.de der Theologe Heinz-Werner Kubitza der These, dass Theologie eine Wissenschaft sei. Von gegenteiliger Auffassung war daraufhin der Pressesprecher des Erzbistums Berlin, Stefan Förner. Die Frage scheint ungeklärt: Gibt es einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und einer nur der Logik und Überprüfbarkeit verpflichteten Denkhaltung? Oder ist dieser Gegensatz durch “vernünftige” Gründe oder durch glaubensmäßige Überzeugungen aufhebbar? In diesem Essay versuche ich, eine Antwort zu geben.
Ursprünglich unterschied menschliches Nachdenken noch nicht zwischen religiösem Empfinden und vernunftgeleitetem Denken. Religiöser Glaube wurde in frühesten Zeiten ganz wesentlich durch das bestimmt, was man sinnlich erlebte und gefühlsmäßig empfand und was aus dem überlieferten Mythos folgte. Dabei standen im Zweifel die “Wahrheiten” der Religion stets über aller Vernunft. Päpstliche Lehre möchte diesen “unschuldigen” Zustand wieder herstellen und argumentiert, dass die Erkenntnisse der (Natur-)Wissenschaften in eine “höhere Wahrheit” eingebettet seien, zu der nur der Glaube Zugang hätte.
Ergänzen sich Vernunft und Glaube?
Papst Johannes Paul II. hat sich anlässlich einer Ansprache vor Wissenschaftlern und Studenten 1980 im Kölner Dom so geäußert: “Denn zwischen einer Vernunft, welche durch ihre gottgegebene Natur auf Wahrheit angelegt und zur Erkenntnis der Wahrheit befähigt ist, und dem Glauben, der sich der gleichen göttlichen Quelle aller Wahrheit verdankt, kann es keinen grundsätzlichen Konflikt geben.”
Das klingt fast nach einer respektvollen Anerkennung der Vernunft durch den Glauben. Zwei Sätze später wird die Katze aus dem Sack gelassen: “Damit zeigt sich zugleich, dass Glaube und Wissenschaft verschiedenen Erkenntnisordnungen zugehören, die nicht ineinander überführbar sind.”
Mit anderen Worten: Die Wissenschaft mag herausfinden, was sie will, der Glaube wird sich davon prinzipiell nicht und niemals beeinflussen lassen. Wenige Absätze später hört es sich zunächst ähnlich aufgeklärt an: “Es [das kirchliche Lehramt unter Berufung auf das II. Vaticanum, U. L.] hat ausdrücklich die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen von Glaube und Vernunft ausgesprochen, es hat die Autonomie und Freiheit der Wissenschaften anerkannt und ist für die Freiheit der Forschung eingetreten. Wir fürchten nicht, ja, wir halten es für ausgeschlossen, dass eine Wissenschaft, die sich auf Vernunftgründe stützt und methodisch gesichert fortschreitet, zu Erkenntnissen gelangt, die in Konflikt mit der Glaubenswahrheit kommen.”
Die Vernunft soll für die “ewige Wahrheit” geöffnet werden
Dies klingt wieder überraschend einsichtig. Doch die Rücknahme folgt auf dem Fuß: “Dies kann nur dort der Fall sein, wo die Unterschiedlichkeit der Erkenntnisordnungen übersehen oder verleugnet wird.” Zum Ende seiner Ausführungen spricht der Papst offen aus, was er wirklich meint: “Die Vernunft des Menschen ist ein großartiges Instrument für die Erkenntnis und Gestaltung der Welt. Sie bedarf aber, um die ganze Fülle der menschlichen Möglichkeiten zur Verwirklichung zu bringen, einer Öffnung für das Wort der ewigen Wahrheit, das in Christus Mensch geworden ist.”
Ähnlich kühn und nur behauptend äußert sich der evangelische Theologe und frühere Bischof Wolfgang Huber in seinem Buch “Der christliche Glaube”: “Zur christlichen Freiheit gehört auch die Freiheit, sich seines Verstandes zu bedienen. Aber zu dieser Freiheit gehört auch die Einsicht, dass die menschliche Vernunft endlich ist, und dass es sich beim Kult der Vernunft um eine Form des Götzendienstes handelt. Es dient der christlich verstandenen Freiheit, wenn die Vernunft dem Glauben nachfolgt und in seinen Dienst eintritt.” … “Eine nicht durch den Glauben aufgeklärte Vernunft bleibt unerfahren und unaufgeklärt, weil sie sich keine Rechenschaft über ihre Grenzen ablegt. Sie verkennt ihren Charakter als endliche Vernunft, dem Menschen anvertraut, damit er mit seiner endlichen Freiheit umzugehen lerne.”
Dann immerhin einschränkend: “Ein nicht durch die Vernunft aufgehellter Glaube aber trägt die Gefahr in sich, barbarisch und gewalttätig zu werden. Stattdessen ist es nötig, die wechselseitige Verwiesenheit von Vernunft und Glauben immer wieder neu zu entfalten.”
Begriffe wie “Kult der Vernunft” und “Götzendienst” zeigen deutlich, welche nachgeordnete Rolle Altbischof Huber der Vernunft zuweist. Und Papst Johannes Paul II. spricht von “Öffnung [der Vernunft] für das Wort der ewigen Wahrheit, das in Christus Mensch geworden ist”. Nachvollziehbare Gründe für diese Feststellungen sind für mich nicht erkennbar, lediglich theologisch eingekleidete Behauptungen werden aufgestellt. Früher hatte die Philosophie als Magd der Theologie zu dienen, eine Funktion, die nach der selbstbewussten Definition oberster Glaubensrepräsentanten offenbar heute die Vernunft gegenüber dem Glauben einzunehmen hat. Der Theologe Richard Schröder spricht im Untertitel seines Buches “Abschaffung der Religion?” verallgemeinernd und geradezu verächtlich gar von “wissenschaftlichem Fanatismus”.
Die Wissenschaft, auch ein Glaube?
In Diskussionen zu dieser Frage wird an dieser Stelle gern die Feststellung getroffen, dass hier eben “punktgleich religiöser Glaube gegen wissenschaftlichen Glauben” stehe? Aber ist dem wirklich so? Religiöser, hier christlicher Glaube baut im Kern auf Dogmen auf, also auf angeblich offenbarten Aussagen, die zudem für alle Zeiten Gültigkeit beanspruchen, also in ihrer Grundaussage unrevidierbar sind, weil auf göttliches Wort und göttlichen Willen zurückgehend. Wissenschaft dagegen “glaubt” nicht, sie gewinnt ihre Erkenntnisse durch methodisch-systematisches Beobachten und überprüft ihre Erkenntnisse und Theorien an der Realität. Wissenschaft rechtfertigt ihr Vorgehen und ihre Aussagen durch die abschließende Überprüfung der Übereinstimmung von Theorie und Praxis, also zum Beispiel im korrekten Eintreffen einer Voraussage. Und Wissenschaft setzt auf Begründung, zumindest Evidenz, intersubjektive Nachvollziehbarkeit und logische Widerspruchsfreiheit.
Die Theologie spricht gern vom »wissenschaftlichen Glauben« und versucht damit zu suggerieren, dass auch Wissenschaft, selbst die Naturwissenschaft, von Voraussetzungen ausginge, die Glaubenscharakter hätten. Aber solche Annahmen kennt die Wissenschaft nicht. Zwar arbeitet auch Wissenschaft nicht voraussetzungslos, aber die stillschweigende Setzung von Behauptungen oder die Vorwegnahme von Ergebnissen, die erst zu beweisen sind, kennt sie nicht. Wissenschaft stellt keine Behauptungen auf, die Voraussetzungen wären für ihre Untersuchungsergebnisse. Das aber tut die Theologie, wenn sie als wahr voraussetzt, dass Gott existiert, dass Jesus auferstanden ist oder dass beispielsweise Jesus Gottessohn ist. Eine auf solchen Voraussetzungen aufbauende Disziplin kann Wissenschaftlichkeit nicht beanspruchen und seien ihre daraus folgenden Untersuchungsergebnisse noch so logisch einwandfrei und methodisch-systematisch entwickelt und in sich widerspruchsfrei. Die Theologie muss um ihrer Existenz willen solche Voraussetzungen machen. Die Religionswissenschaft hat solche Vorgaben nicht nötig, sie erfüllt folglich die Kriterien der Wissenschaftlichkeit.
Die verzweifelten Versuche der Theologen und Religionsvertreter, die Vernunft an die Kette des Glaubens zu legen, machen eines deutlich: Ihr Gegner ist nicht der Nicht-Glaube oder gar der Atheismus, sondern die Wissenschaft, insbesondere eine naturwissenschaftliche Bildung und die ihr zugrundeliegende rationale, an der Wirklichkeit entwickelte Denkweise. Naturwissenschaft ist Wirklichkeitswissenschaft, Theologie dagegen eine Art Transzendenzkunde. Gott als Gegenstand der Theologie ist ein imaginiertes, also vorgestelltes Phänomen, dessen Existenz zwar nicht widerlegt, aber auch nicht einsichtig belegt werden kann. Die Naturwissenschaften denken und forschen ergebnisoffen, für die Theologie steht aufgrund von Offenbarung die Wahrheit im Prinzip schon fest, sie muss nur noch gedeutet und in den jeweiligen sachlichen und zeitlichen Kontext gestellt werden.
Die Naturwissenschaften haben als Wahrheitskriterium die Empirie, die beobachtete Wirklichkeit. Ein solches ihre Theorien wahrheitsnäher machendes Korrektiv haben die Theologen nicht. Zwar versuchen sie, ihre theologischen Konstruktionen in sich widerspruchsfrei zu halten, aber das bedeutet nicht, dass diese Gedankengebäude irgendeine reale Basis in der Wirklichkeit haben müssen. Und wie soll auch der Wahrheitsbeweis für etwas objektiv Unprüfbares erbracht werden? Wie man jedoch sieht, kann ein in sich – wenigstens in Teilen – logisch stimmiges System von theologischen Behauptungen und Schlussfolgerungen in einer gedanklichen Welt und auf Papier die Jahrhunderte überdauern. Es ist ja, da nur gedanklich-begrifflich existierend, auch empirisch nicht widerlegbar.
Eine “höhere Wahrheit” überwindet den Widerspruch
Es gibt gläubige Naturwissenschaftler, die verneinen, dass es einen Gegensatz zwischen Glauben und Vernunft, zwischen Religion und Naturwissenschaft gäbe. Dabei gibt man vor, Gegensätzliches zwischen Glauben und Vernunft dadurch vereinbar zu machen, dass man den Widerspruch zu einer »höheren Wahrheit« erhebt, die sich unserem menschlichen Verständnis entzöge. Ich sehe jedoch keinen Grund, solche theologischen Konstruktionen wie eine »höhere Wahrheit« zu akzeptieren, kann man doch der behaupteten Verträglichkeit von Glauben und Wissen schon mit unmittelbar einsichtigen Gründen widersprechen:
Ein Gott, der angeblich Welt und Mensch erschuf und bis heute in unser Leben eingreifen würde, eine von der Materie unabhängige und unsterbliche Seele, die uns mit Gott verbinden würde, das Fürwahrhalten von Wundern wie die Auferstehung von Jesus und seine Himmelfahrt – alles das sind Glaubenselemente, die einem naturwissenschaftlichen Weltbild, das heute kausal geschlossen beschrieben und in seinen Strukturen weitgehend erklärt werden kann, diametral entgegenstehen, man könnte auch sagen: beziehungslos neben dem Glauben stehen. Auch die Frage nach einem moralischen Ankerpunkt und die Frage nach dem Sinn des Lebens bedürfen zu ihrer Beantwortung keines Glaubens an ein überirdisches Wesen. Dass Moral evolutionär entstand und somit innerweltlich begründbar ist, das kann die Soziobiologie heute überzeugend belegen. Und auch auf die Frage nach dem Sinn unseres irdischen Daseins lässt sich aus humanistisch-philosophischer Perspektive für mich viel Einsichtigeres und Überzeugenderes als aus der Sicht eines Glaubens sagen, der im alten Palästina von Menschen erdacht wurde, die von der Welt wenig wussten und noch weniger davon verstanden.
Ein Physiker und Protestant – “vom Scheitel bis zur Sohle”
Der vom Fernsehen bekannte Astrophysiker und Philosoph Professor Harald Lesch ist in seiner Person ein Beispiel für eine mir höchst zweifelhaft erscheinende Harmonie von Naturwissenschaft und Religion. Jeder, der ihn einmal erlebt hat, wie er lediglich mit Tafel und Kreide, oft nur mit Sprache und Gestik, den Urknall erklärt, ist zunächst fasziniert von seinen didaktischen Fähigkeiten. Er kann erklären und begeistern und uns innerhalb kurzer Zeit eine Vorstellung von der überwältigenden Pracht des Kosmos und der Eleganz der in ihm waltenden Naturgesetze vermitteln. Die Selbstorganisation der Natur kann er uns in beispielhaft verständlicher Einfachheit vor Augen führen, und zwar ohne jeden Rückgriff auf göttliches Wirken.
Andererseits sagt er von sich, “ich bin vom Scheitel bis zur Sohle Protestant”. Ein Bekenntnis, das aufhorchen und für einen Moment einem akademischen Lehrer seines Formats respektvoll Beachtung schenken lässt. Aber man fragt sich sofort, wie zwei so gegensätzliche Konzepte unterschiedlichster Natur zusammenpassen: eine in sich geschlossene, keine übernatürliche Kräfte benötigende Beschreibung des Naturgeschehens einerseits und ein Glauben an einen mit Wundern ins Weltgeschehen eingreifenden Gott andererseits, an dessen Dreieinigkeit mit Heiligem Geist und Gottessohn Jesus, an Erbsünde und Opfertod zwecks Erlösung der Menschheit.
Eleganz und Einfachheit: Eine Kluft von 4000 Jahren
Dass er an eine Macht glaubt, die hinter allen Dingen stehe, könnte ich noch hinnehmen. Denn auch Nichtgläubige und Atheisten haben keine einfachen, wenn überhaupt, Antworten auf die Frage nach dem letzten Urgrund allen Seins. Aber die Künstlichkeit und logische Brüchigkeit des christlichen Glaubens an einen allmächtigen Gott, der die Menschheit erschaffen haben soll, die ihm aber trotz seiner Allmächtigkeit und Allwissenheit so bösartig und sündig geriet, dass sie der Erlösung durch ein göttlich veranlasstes Menschenopfer bedürfe, ist – ich sage ausdrücklich: für mich – von einer solchen Vorsintflutlichkeit des Denkens, dass ich mich frage, wie zwei so verschiedene Konzepte und vor allem Denkweisen ohne intellektuelle Bedrängnisse in einem Kopf nebeneinander bestehen können. Kommen doch in diesem Gegensatz von naturwissenschaftlicher Eleganz und legendenhafter Einfachheit etwa 4000 Jahre Kulturgeschichte zum Ausdruck.
Ist es frühkindliche Indoktrination, von der Lesch sich nicht befreien kann? Ist es der Preis für eine ihm sonst nicht mögliche mediale Entfaltungsmöglichkeit und öffentliche Anerkennung? Ist es ein bewusstes Akzeptieren von Gegensätzlichkeiten, weil keines der beiden Weltbilder für sich allein ihm eine Antwort auf das “Wie funktioniert die Welt” und “Warum gibt es die Welt” darstellt? Dennoch: Die Durchdachtheit, innere Stimmigkeit und Erklärungskraft unseres heutigen naturwissenschaftlichen Weltbildes und die Einfalt und Archaik des christlichen Glaubens lassen sich meines Erachtens intellektuell redlich nicht miteinander vereinbaren. Ein solches zweigeteiltes Weltbild kann nur hingenommen werden, wenn Einheitlichkeit, Stimmigkeit, Plausibilität, Eleganz als Kriterien für eine den Intellekt befriedigende Sicht auf die Welt keine Bedeutung beigemessen wird. Solches Denken stellt für mich eine Flucht aus der Realität in eine mystische Welt von Wunsch und Phantasie dar.
Bei weiterem Nachfragen zieht man sich dann gern auf eine pantheistische Auffassung zurück, also eine Vorstellung, nach der Gott und Welt letztlich identisch seien. Aber was sagt ein solchermaßen verallgemeinerter Gottesglaube noch? Und was ist mit den Kernaussagen der christlichen Lehre, wie vereinbaren die sich mit einem solchen aufgelösten Gottesbegriff?
Die Bibel erzählt von Wundern und Weltentstehung
Gern wird von Gläubigen argumentiert, dass Wissenschaft und Religion, Vernunft und Glauben sich schon deswegen nicht widersprechen könnten, da sie unterschiedlichen Sphären zugeordnet seien. Man sagt auch, dass beide Bereiche orthogonal zueinander stünden, was heißen soll, dass der eine Bereich über den anderen nichts aussagen könne. Festzustellen ist, dass die Wissenschaft sich daran hält, nicht jedoch der Glaube. Die Bibel macht zum Beispiel Aussagen über die Entstehung der Welt und des Menschen und behauptet, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde und später, obwohl bereits tot, wieder auferstand und gen Himmel fuhr. Der Glaube macht also sehr wohl sehr konkrete Aussagen über die Welt. Ihm darf daher auch aus weltlicher Sicht, also mit wissenschaftlichen Argumenten, widersprochen werden. Ein Wissenschaftler dagegen wird über die Existenz Gottes oder über offenbarte Glaubenswahrheiten keine Aussagen machen. Seine Methoden greifen hier nicht. Er kann dazu keine empirischen Daten erheben, folglich keine prüfbaren Hypothesen formulieren, keine Gültigkeit beanspruchende Theorien aufstellen. Er kann allenfalls Plausibilitätsüberlegungen anstellen, logische Widersprüchlichkeiten oder Unmöglichkeiten aufzeigen.
Menschen mit breit gefächerter Bildung sympathisieren immer weniger mit der Idee, dass es eines Menschenopfers bedürfen sollte, um eine außerweltliche Wesenheit zu besänftigen. Auch die im Glaubensbekenntnis bis heute beschworene Hölle als Ort ewiger Folter vereinbart sich schwer mit einem Denken, das sich an humanistischen oder menschenrechtlichen Prinzipien orientiert. An Wunder, wie die jungfräuliche Geburt oder die Brot- und Weinvermehrung, von der Auferstehung von den Toten und der Himmelfahrt ganz zu schweigen, will selbst ein grundsätzlich noch religiös eingestellter Mensch von heute so recht nicht mehr glauben.
Unser durch moderne Wissenschaft und Philosophie sowie die Menschenrechte geprägtes Denken entfernt sich immer mehr von einer religiösen Welt, die noch Wunder, Menschenopfer und ewige, das heißt niemals endende Bestrafung kennt. Und ist die Idee eines barmherzigen und die Menschen liebenden Gottes – kritisch hinterfragt in der berühmten Theodizee – wirklich so überzeugend angesichts des durch Mensch, aber auch die Natur ausgelösten grenzenlosen Leids auf dieser Erde? Insofern ist Stefan Förners Vorwurf, dass Gläubige als “doof” angesehen würden, nicht zutreffend. Sie sind bezüglich der Grundlagen ihres Glaubens jedoch unwissend und unaufgeklärt.
Wer denkt, hinterfragt die Dinge
Die Akzeptanz des christlichen, eigentlich jeden Glaubens scheint mir nur möglich, wenn man die Vernunft dem Glauben unterordnet und die logischen und sachlichen Widersprüche ignoriert. Auf den Grund gehendes Denken ist nun einmal mit dem Hinterfragen der Dinge verbunden. Denken heißt deshalb immer auch, mit Gründen zu zweifeln. Genau das ist der Grund, weshalb sich Vernunft und Glaube so schlecht vertragen.
Aber auch das gilt: Losgelöst von jeder wissenschaftstheoretischen Erörterung ist für viele Menschen ihr persönlicher Glaube eine Quelle des Trostes und der Hoffnung, selbst wenn diesem jede rationale Begründung fehlt. Das funktioniert, wenn man den Bereich des Glaubens freihält von reflektierenden, gar zweifelnden Überlegungen, »wenn also die Vernunft dem Glauben nachfolgt und in seinen Dienst eintritt«, wie Altbischof Huber meint.
Professor Uwe Lehnert ist Autor des Buchs: “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung”, Tectum Verlag, Marburg 2015.