Warum ich nicht glauben kann – Folge 4: Gotteserfahrungen als »Beweis«

     

Ich komme nun zu einem Punkt beson­de­rer Art, und zwar zu den soge­nann­ten Got­tes­er­fah­run­gen. Ich will im Fol­gen­den erläu­tern, warum soge­nannte Got­tes­er­fah­run­gen für manche Men­schen eine ihr Leben umwäl­zende Erfah­rung bedeu­ten können, für mich den­noch keinen Beweis für die Exis­tenz Gottes darstellen.

Diese Got­tes­er­fah­run­gen sind mir in Dis­kus­sio­nen mit gläu­bi­gen Men­schen meist in zwei Formen begeg­net. Erstens

Die Schöp­fung als sicht­ba­res Zei­chen der Exis­tenz Gottes

Viele gläu­bige Men­schen meinen, in der Natur Gott zu erken­nen. Zum Bei­spiel bei einer Berg­wan­de­rung oder beim Anblick eines Son­nen­un­ter­gangs am Meer. In diesem Zusam­men­hang wird dann auf die uns oft über­wäl­ti­gende Schön­heit der Natur ver­wie­sen und auf die wun­der­bare Ord­nung, die in der Tier- und Pflan­zen­welt zu beob­ach­ten sei.

Das Alles könne nur einem Schöp­fer zu ver­dan­ken sein, der das geschaf­fen habe – so heißt es dann.

Wir wissen, dass die Natur­wis­sen­schaf­ten, ins­be­son­dere in Form der Evo­lu­ti­ons­theo­rie, dafür andere Erklä­run­gen anbie­ten. Diese wis­sen­schaft­li­chen Begrün­dun­gen halte ich für weit­aus überzeugender.

Wie der Arten­reich­tum im Pflan­zen- und Tier­reich sich ent­wi­ckelte, kann die Evo­lu­ti­ons­theo­rie inzwi­schen detail­liert erläu­tern und bele­gen. Selbst die Ent­ste­hung von Leben über­haupt dürfte in naher Zukunft voll­stän­dig geklärt sein. Der Irrtum vieler Gott­gläu­bi­ger besteht darin, dass sie das auf­ein­an­der abge­stimmte Leben von Pflan­zen und Tieren, diese beein­dru­ckende, durch Regel­kreise sich ein­stel­lende Ord­nung, sich nur begreif­lich machen können durch eine ziel­ori­en­tiert und plan­voll vor­ge­hende, über­na­tür­li­che Kraft, gemein­hin Gott genannt.

Ihr gewohn­tes und täg­lich ange­wand­tes Denken in den Kate­go­rien von Ziel und Plan bezie­hungs­weise Absicht und Zweck pro­ji­zie­ren Gläu­bige auch in die Natur hinein. Was exis­tiert, das erscheint ihnen auf­grund seiner Ästhe­tik und Per­fek­tion als gewollt und geplant, eine andere Erklä­rung wider­spricht ihrer täg­li­chen Erfah­rung. Die Natur jedoch, genauer: die Evo­lu­tion, kennt keine Ziele, sie folgt nur Ursa­chen und löst Wir­kun­gen aus nach den Gesetz­mä­ßig­kei­ten dieser mate­ri­el­len Welt.

Tat­säch­lich ist das, was unter Zufalls­ein­fluss zum Bei­spiel durch Muta­tio­nen ent­stand und heute exis­tiert und bewun­dert wird, nur das ist, was unter den jeweils gege­be­nen Umstän­den »funk­tio­nierte«, folg­lich über­lebte. Alles andere ist längst wieder unter­ge­gan­gen und allen­falls in Form von Fos­si­lien erhal­ten. Eines Schöp­fers und Len­kers dieses Pro­zes­ses bedarf die Natur nicht.

Wird somit die Gül­tig­keit der Evo­lu­ti­ons­theo­rie auf­grund der erdrü­cken­den Beweis­last von den Wis­sen­schaf­ten und – wie schon früher erwähnt – selbst von der katho­li­schen und evan­ge­li­schen Kirche im Grund­satz nicht mehr bestrit­ten, so wird die Frage ihrer Bedeu­tung in Bezug auf das Selbst­ver­ständ­nis des Men­schen kei­nes­falls ein­hel­lig beant­wor­tet. Für die Kirche bleibt der            Mensch das gott­ge­wollte Ziel der Evo­lu­tion und der End­punkt dieser Ent­wick­lung, das Eben­bild Gottes, aus­ge­stat­tet mit einer unsterb­li­chen Seele.

Aber für meta­phy­si­sche Begriffe wie Eben­bild Gottes oder unsterb­li­che Seele gibt es aus natur­wis­sen­schaft­li­cher Sicht kei­ner­lei Ansatz­punkte. Und so sind für den Natur­wis­sen­schaft­ler solche Cha­rak­te­ri­sie­run­gen zwar streng genom­men nicht als falsch zu bezeich­nende, weil nicht wider­leg­bare, aber über­flüs­sige, weil zu Erklä­rung und Ver­ständ­nis nicht bei­tra­gende Behauptungen.

Wenn ich von der Rich­tig­keit der Evo­lu­ti­ons­theo­rie über­zeugt bin, wel­chen Anlass sollte ich dann haben, einer etwa drei­tau­send Jahre alten bibli­schen Legende Glau­ben zu schen­ken, dass ich mein Dasein und meine Bedeu­tung in dieser Welt einem sepa­ra­ten Schöp­fungs­akt ver­danke? Für mich gibt es nicht die gerings­ten Hin­weise, dass der Mensch außer­halb der bio­lo­gi­schen Gesetze stünde und er zu seiner Erklä­rung außer­na­tür­li­cher, über­ir­di­scher Kräfte bedürfte.

Ein an die Mit­wir­kung Gottes Glau­ben­der müsste nach­wei­sen, dass ohne die Hypo­these Gott die Ent­ste­hung der Arten­viel­falt und des Men­schen nicht mög­lich ist. Die christ­li­che Bot­schaft vom plan­vol­len Ein­grei­fen Gottes bei der Ent­ste­hung der Welt und des Men­schen hat für mich nur noch his­to­ri­sche und lite­ra­ri­sche Bedeutung.

Ziel und Plan, Absicht und Zweck sind typisch mensch­li­che Kate­go­rien, nach denen wir die Welt als Ganzes beur­tei­len möch­ten. Das Exis­tie­rende erscheint uns nur des­halb als »gewollt«, weil wir gewohnt sind, Zweck­mä­ßi­ges und Ange­pass­tes in den Kate­go­rien von Ziel und Plan zu inter­pre­tie­ren. Es ist aber viel­mehr so: Das Vor­han­dene exis­tiert nur, weil es durch Muta­tion und Aus­lese an seine Umwelt zweck­mä­ßig ange­passt ist. Alles andere ist längst untergegangen.

Eine wei­tere Form der Got­tes­er­fah­rung ist zweitens

Eine uner­war­tete Bege­ben­heit oder Begeg­nung als Fin­ger­zeig Gottes

Als Bei­spiel wird gern Luther zitiert, der bei Stot­tern­heim von einem gewal­ti­gen Blitz­schlag ver­schont blieb und dar­auf­hin aus Dank­bar­keit beschloss, Mönch zu werden. In der Lite­ra­tur gibt es viele ähn­li­che Beispiele.

Andere Men­schen berich­ten, dass sie auf­grund der Begeg­nung mit einem tief­gläu­bi­gen Men­schen so fas­zi­niert waren, dass sie sich ihn als Vor­bild nahmen. Sie deu­te­ten die Begeg­nung mit dieser beein­dru­cken­den Per­sön­lich­keit als Fin­ger­zeig Gottes, dass es ihn – Gott – wirk­lich gibt. Es kann auch ein bestimm­tes Buch sein, das einem Men­schen die Gewiss­heit ver­mit­telt, dass Gott exis­tiert und über dieses Buch zu ihm spricht, sich ihm offen­bart hat.

Ich spre­che diesen Men­schen ihre Über­zeu­gung, dass sie ein bestimm­tes Erleb­nis gehabt haben, das sie als Got­tes­er­fah­rung deuten, nicht ab. Eine inten­siv erlebte Erfah­rung also, die ihr Leben völlig ver­än­dert hat. Es wäre anma­ßend und über­heb­lich von mir, diesen Men­schen ihre Begeg­nung mit Gott, wie sie es nennen, abspre­chen zu wollen.

Ich hoffe aber, dass man es mir nach­sieht, dass ich solche Bege­ben­hei­ten wie einen Blitz­schlag oder Begeg­nun­gen mit ein­drucks­vol­len Men­schen nicht als Fin­ger­zeig Gottes inter­pre­tie­ren kann.

Es han­delt sich für mich um ein zufäl­li­ges Ereig­nis, um ein zufäl­li­ges Zusam­men­tref­fen zwi­schen einem Natur­er­eig­nis und einem Men­schen oder um eine zufäl­lige Begeg­nung zwi­schen zwei Men­schen, von denen der eine den ande­ren sehr beein­druckte. Die Deu­tun­gen sol­cher Ereig­nisse oder Begeg­nun­gen als Got­tes­er­fah­rung sind für mich will­kür­li­che Deu­tun­gen. Ich würde von Auto­sug­ges­tion spre­chen oder von Wunsch­den­ken, das sich im Unter­be­wusst­sein der betref­fen­den Person schon län­gere Zeit vorher ange­bahnt hat und das nur noch auf einen Aus­lö­ser wartete.

Den­noch – ich habe es mir nicht so leicht gemacht und mich auch noch mit fol­gen­dem Buch befasst: Werner Harke (Hrsg.): Wunder und Got­tes­er­fah­run­gen heute – Men­schen berich­ten, wie sie Gott real und per­sön­lich erlebt haben.

Das Buch ent­hält 51 Erfah­rungs­be­richte, die im Wesent­li­chen den beiden Grund­for­men folgen, die ich vorhin genannt habe: 1. Die Natur, die Schöp­fung sei ein sicht­ba­res Zei­chen Gottes und 2. Ein erschüt­tern­des Ereig­nis oder die Begeg­nung mit einem ein­drucks­vol­len Men­schen wurde als Fügung Gottes gedeu­tet, als Fin­ger­zeig, dass es ihn – Gott – gibt.

Noch­mal sei es gesagt: Ich respek­tiere eine solche soge­nannte Got­tes­er­fah­rung. Aber sie ist eben nur eine ganz per­sön­li­che, nicht all­ge­mein­gül­tige Erfahrung.

Got­tes­er­fah­rung ist nur eine ganz per­sön­li­che Erfahrung

Ich denke, dass man mir zustim­men kann: Diese ganz per­sön­li­che Erfah­rung ist nicht über­trag­bar. Sie hat Bedeu­tung nur für diese eine Person mit ihrer Erzie­hung, ihren Erfah­run­gen, ihren Erkennt­nis­sen und indi­vi­du­el­len Vor­stel­lun­gen von »Gott und der Welt«.

Eine solche ganz per­sön­li­che, sub­jek­tive Erfah­rung kann ich nicht für mich wie­der­ho­len. Sie ist ein­ma­lig in dieser einen Person gesche­hen. Des­halb kann ich sie für mich nicht als Beleg, gar als Beweis für die Exis­tenz Gottes akzeptieren. –

Ich habe in den letz­ten vier Folgen mir wesent­lich erschei­nende Gesichts­punkte zusam­men­ge­tra­gen. Diese Über­le­gun­gen und Argu­mente mach­ten mich schließ­lich von einem Skep­ti­ker zu einem dezi­diert Nichtgläubigen.

Dieser Pro­zess erstreckte sich aller­dings über Jahre, das will ich gern ein­räu­men. Und wurde in vielen Punk­ten nach und nach detail­lier­ter durch­dacht und begründet.

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Sys­te­ma­ti­scher und gründ­li­cher werden viele wei­tere Fragen zu Chris­ten­tum und Reli­gion behan­delt in dem Buch »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung«. Tectum Wis­sen­schafts­ver­lag, 2018, 7., voll­stän­dig über­ar­bei­tete Auflage.

Mehr zum Buch über den Buch­ver­sen­der Amazon. Siehe dort den Ein­füh­rungs­text und die Buch­kri­ti­ken. Der Kauf des Buches erfolgt mit­un­ter schnel­ler über den Buch­han­del, Lie­fe­rung meist am nächs­ten Tag.

Aus­führ­li­cher führt die vor­lie­gende Inter­net­seite https://warum-ich-kein-christ-sein-will.de/ in das Buch ein, u.a. mit Lese­pro­ben, Lesun­gen und Inter­views mit mir.

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