Christliche Werte – Sind sie »christlich« und was sind sie »wert«? (PDF)
Uwe Lehnert
Wann immer sich die Gelegenheit zeigt, fordern Politiker, vornehmlich jene aus den beiden großen Volksparteien, sich auf die sog. christlichen Grundwerte zu besinnen. Mit dem Verweis auf den angeblichen oder tatsächlichen »Verfall der Werte« wird die sog. »christliche Wertegemeinschaft« beschworen. Das Christentum sei – so heißt es dann – die Grundlage allen ethischen Handelns. Moral ohne Bezug auf Gott führe über die Beliebigkeit schließlich zur Unmoral. Ein Volk ohne eine in Gott verankerte Moral habe keine Zukunft, und was derlei mehr im Brustton der Überzeugung, aber in der Regel ohne tiefere Kenntnis der Bibel vorgebrachte Bekundungen sein mögen. Und die grenzenlose Amoral, die sich in der Geschichte des Christentums widerspiegelt, wird sowieso souverän ignoriert.
Der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach jüngst von der »überragenden Akzeptanz der christlichen Werte«. »Diesseits und jenseits von Europa haben wir inzwischen viele Beispiele dafür, dass eine Absage an die Religion eine Gesellschaft weder moderner noch humaner macht«, meinte er. Die Frage sei erlaubt: Sind etwa die vielen durch den Islam geprägten Länder durch ihre Religion moderner und humaner geworden, etwa im Sinne von mehr Demokratie und der Beachtung der Menschenrechte?
Nun möchte ich nicht bestreiten, dass einige der sog. christlichen Werte durchaus auch von mir als Elemente einer Moral angesehen werden können. Allerdings sind diese das Ergebnis einer soziokulturellen Entwicklung und nicht Bibel und christlicher Lehre zu verdanken. Schon im mesopotamischen Codex Hammurabi und im Ägyptischen Totenbuch finden sich Elemente der Zehn Gebote. Und persische, griechische und römische Denker haben schon Menschenrechte diskutiert, die sich in der Bibel so nicht finden. 539 v.u.Z. verkündete der persische Reichsgründer Kyros II. die Freiheit der Religionsausübung, die Abschaffung der Sklaverei und die Rassengleichheit. Die athenischen Sophisten Antiphon und Alkidamas thematisierten schon drei und vier Jahrhunderte v.u.Z. die Gleichheit und Freiheit aller Menschen. Und Marcus Tullius Cicero, römischer Politiker, Schriftsteller und Philosoph, der von 106–43 v.u.Z. lebte, sprach allen Menschen von Natur aus eigene Erhabenheit und Würde zu. (1) Auch wenn diese hehren Worte mehr Absichten bekundeten und allenfalls eine punktuelle Realisierung erfuhren, machen sie doch deutlich, dass schon vor dem Aufkommen des Christentums gedankliche Ansätze existierten, allen Menschen unveräußerliche Rechte zuzusprechen.
Wenn heute kirchennahe Politiker die »christlichen Werte« beschwören, die unser gesamtes politisches Handeln maßgeblich zu bestimmen hätten, ja, dass ohne sie die Amoral regierte, dann sind diese Werte heute nach den Intentionen der Aufklärung und im Lichte einer aufgeklärten, das heißt religiös-emanzipierten Vernunft zu beurteilen. Und da zeigt sich, dass sie einer kritischen Bewertung nicht standhalten oder ohnehin weltweit anerkannte Normen darstellen, denen eine spezifisch christliche Grundlegung nicht zuerkannt werden kann. Fragen wir uns zunächst, was unter den »christlichen Werten« verstanden wird?
Es sind die Anerkennung Gottes als Schöpfer der Welt und des Menschen und zugleich als oberste Moralinstanz, ferner die Zehn Gebote und die wesentlichen Aussagen der Bergpredigt wie Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Nächstenliebe, Barmherzigkeit. Alle diese normstiftenden Prinzipien so heißt es – würden aus der Bibel folgen, deshalb habe dieses Buch als generelle Orientierung allen täglichen, vor allem moralischen Handelns zu gelten.
Ich frage mich: Verkörpern die Zehn Gebote und die Bergpredigt, die so gern voller Stolz und Selbstbewusstsein als angeblich Gottes Wort und Kern christlicher Moral hochgelobt werden, wirklich eine Moral, die so unbesehen des Befolgens würdig sind? Unterziehen wir diese sog. christlichen Werte einer kritischen Betrachtung.
Der Gottesglaube darf nicht für alle Menschen verbindlich sein
Den christlichen Gottesglauben für alle Bürger verbindlich zu machen, ist in einer multiweltanschaulichen Gesellschaft anmaßend und undemokratisch. Dies ist konkret der Fall, wenn gesetzliche Verbote, wie z. B. zur Embryonen- und Stammzellforschung, zur Präimplantationsdiagnostik, zum Schwangerschaftsabbruch oder zur aktiven Sterbehilfe, mit dem christlichen Menschenbild begründet, aber als Gesetze allgemein verbindlich gemacht werden, also auch für Anders- und Nichtgläubige gelten sollen.
Für einen wahren und überzeugten Christen müsste das gesetzliche Verbot der oben genannten Handlungen überflüssig sein, denn es müsste ihm ja ein gern erfülltes Anliegen sein, Gottes Gebote, wie sie die Kirche für ihn festlegt, zu befolgen. Dass es dafür staatliche Gesetze gibt, die auch für den Nichtchristen gelten, der in diesen, wesentlich vom Glauben geprägten Fragen eventuell eine ganz andere, ebenso zu achtende Auffassung hat, ist dem immer noch wirkenden kirchlichen Einfluss geschuldet. Dieser Einfluss manifestiert sich in gesellschaftlichen Strukturen (z.B. im Rechts- und Erziehungswesen), wirkt unbewusst als tradiertes Wertesystem noch in den Köpfen selbst Glaubensferner und zeigt sich zum Beispiel in einem kirchlich-staatlichen Machtdenken, das stets mehr durch Verbieten als durch Vorleben und Überzeugen gekennzeichnet war. Diese aus dem Glauben folgenden strafbewehrten Verbote lassen einerseits erkennen, dass die Kirche, einschließlich der ihr willfährig ergebenen Politiker, ihrer eigenen Klientel nicht traut, andererseits sich anmaßt, auch allen Nichtgläubigen auf dem Umweg über staatliche Gesetze ihre Glaubensauffassung aufzuzwingen. Die Lösung im Sinne des gesellschaftlichen Friedens kann hier nur lauten, dass Verhaltensweisen, die eine wesentlich religiöse Begründung haben, dem einzelnen Gläubigen zu überlassen sind.
Die Zehn Gebote sind keine Erfindung des Christentums
Die Zehn Gebote, essentieller Bestandteil biblisch fundierter Moral, möchte ich als nächstes betrachten. Allerdings nicht in der knappen Form, wie sie viele von uns im Religions- oder Konfirmanden- bzw. Kommunionunterricht kennengelernt haben, sondern wie sie ursprünglich im Alten Testament formuliert wurden. Martin Luther zum Beispiel hatte sich die Freiheit genommen, den Text zu verändern und – wie ich meine – schönfärberisch zu interpretieren. In der heute verbreiteten und zu lernenden Form sind interessanterweise höchst fragwürdige Textelemente, die in der Bibel stehen, weggelassen worden.
Dort im 2. Buch Mose heißt es in Kap. 20, Vers 1–21 zum 1. Gebot: »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. … Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.« Und das 10. Gebot beispielsweise lautet: »Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, was deinem Nächsten gehört.« (2)
Das erste Gebot kennt also keine Religionsfreiheit und droht mit dem, was wir heute Sippenhaftung nennen würden und zurecht als amoralisch kennzeichnen. Die Sünden der Väter werden bis in die vierte Generation verfolgt, so unbeteiligt und unschuldig die betroffenen Kinder und Kindeskinder auch sein mögen. Es ist übrigens von Söhnen die Rede, nicht von Töchtern, die von minderem Rang waren. Folgte man der Bibel, würde sich an der Geringschätzung der Frau bis heute nichts geändert haben.
Das 10. Gebot ist insofern bemerkenswert, als es die Sklaverei als eine selbstverständliche, offenbar auch von Gott nicht in Frage gestellte Ausbeutung von Menschen durch Menschen hinnimmt. Das Sklaventum hatte seinen festen Platz im damaligen Weltbild und wird offensichtlich von Gott gebilligt. Dass dies keine willkürlich vorgenommene Deutung darstellt, geht zum Beispiel aus dem 2. Buch Mose, Kap. 21, Vers 2–11 hervor. Auch dort wird ausführlich die offenbar gottgewollte Rolle des Sklaven als privates Eigentum des jeweiligen Herrn festgelegt. Apostel Paulus argumentiert ebenfalls in diesem Sinne. Im 1. Korinther, Kap. 7, Vers 21f drückt er sich sehr eindeutig und geradezu ermunternd für das geduldige Ertragen des Sklavendaseins aus.
Desweiteren wird in diesem 10. Gebot die Ehefrau den Sklaven, Haustieren und Sachen gleichrangig zugeordnet und wie selbstverständlich als natürlicher Besitz des Mannes bezeichnet. Von Gleichberechtigung der Geschlechter ist keine Rede. Die übrigen Gebote, vor allem die Gebote 4 bis 9 sind grundlegende Verhaltensnormen, die weltweit in jeder Gesellschaft Gültigkeit haben, also nicht als typisch christlich gelten können. Sie finden sich im Grundsatz schon im Ägyptischen Totenbuch und im Codex Hammurabi des antiken Mesopotamien.
Die Bergpredigt ist kein Vorbild für ein modernes Ethikkonzept
Politiker berufen sich in ihrer Tätigkeit gern auf die Bergpredigt, die sie angeblich als Leitlinie betrachten und der sie Anleitungen für ihre praktische Arbeit entnehmen würden. Dabei ist darauf zu verweisen, dass Jesus bei seiner Bergpredigt das nahe Ende der Welt und damit das Jenseits vor Augen hatte. Die diesseitige Welt war ihm längst gleichgültig geworden. Ich zitiere einige oft genannte Passagen der Bergpredigt:
»Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben – Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden – Selig die Barmherzigen, denn sie werden Erbarmen finden – Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen – Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden – Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich« (3)
Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeitsliebe, Barmherzigkeit, Reinheit des Herzens – im Sinne von Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Friedensliebe – sowie – modern gesprochen – zivilcouragierter Einsatz für Verfolgte und Benachteiligte sind in der Tat Tugenden, die dem gedeihlichen Zusammenleben der Menschen dienen. Zu Recht wohl gelten diese Passagen des Neuen Testaments, so unmodern sie in unseren Ohren heute klingen mögen, als eine zentrale, von jedem Menschen guten Willens zu beherzigende Botschaft. Ich erkenne an, dass an dieser Stelle die Bibel einen Ankerpunkt moralischen Denkens und Handelns darstellen könnte. Auch die von Jesus immer wieder angemahnte Nächstenliebe gehört hierzu. Sie wird bereits im Alten Testament (3. Mose, Kap. 19, Vers 18) gefordert, dort allerdings nur für die Angehörigen des eigenen Stammes. Jesus weitete die Nächstenliebe aus auf alle Menschen, unabhängig von Stamm und Religionszugehörigkeit; zumindest lässt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter diese Deutung zu. Aber gerade die Nächstenliebe und noch mehr die von Jesus geforderte Feindesliebe sind jene Tugenden, die in der Geschichte des Christentums von deren Repräsentanten am wenigsten geübt und hochgehalten wurden. Ja, selbst Jesus wünscht jenen immer wieder die höchste denkbare Strafe, die Hölle, die seiner Glaubensbotschaft ablehnend gegenüberstehen.
Auch andere Gesellschaften haben solche moralischen Gebote entwickelt, auch ohne Bezug auf den christlichen Gott und seinen – behaupteten – Sohn Jesus. Offenbar liegt diesen Geboten ein allen Menschen gemeinsames Bedürfnis nach einem harmonischen, Leid verhindernden Miteinander zu Grunde, und zwar weltweit. Eine Feststellung, die auf den evolutionären Ursprung von Moral verweist. Das heißt, den Grundaussagen der Bergpredigt liegt in großen Teilen ein weltweit gültiges Ethos zu Grunde. Die gern als spezifisch christlich bezeichnete Barmherzigkeit und Nächstenliebe findet sich durchaus auch in anderen Lehren und Religionen und entspricht im Übrigen dem, was heute mit Solidarität bezeichnet wird, ein Prinzip gegenseitig praktizierter, eben evolutionär entwickelter Mit-Menschlichkeit.
Bemerkenswert an den sog. Seligpreisungen ist, dass jeder Befolgung bzw. Nichtbefolgung eines Gebots eine Belohnung bzw. Bestrafung in Aussicht gestellt wird. Gutes tun um des Guten willen, das wäre doch wahrhaft von ethischer Gesinnung. An anderer Stelle der Bergpredigt heißt es: Wer seinem Bruder zürnt, verdient die Hölle, wer eine Frau lüstern ansieht, begeht schon gedanklich Ehebruch, ein ebenso todeswürdiges Verbrechen. Die Bergpredigt verkündet somit eine Ethik der Belohnung und des Angstmachens. Vorbild für ein modernes Ethik-Konzept ist sie damit gewiss nicht.
Die Bibel spiegelt Denken und Verhalten der Bronzezeit wider
In vielen Teilen der Bibel werden Gewalt (z.B. kriegerischer Landraub), Menschenrechtsverletzung (z.B. Sklaverei) oder die Ächtung von Homosexualität (bei Strafe des Todes!) gerechtfertigt sowie heutige gesellschaftliche Normen wie zum Beispiel Gleichberechtigung von Mann und Frau oder etwa Religionsfreiheit negiert. Die Bibel als Basis gesellschaftlich erwünschten Verhaltens zu bezeichnen, ist daher schlicht indiskutabel, zeugt bestenfalls von sträflicher Unkenntnis dieses Buches. Und eine Tugend wie die Toleranz, die wir heute als unbedingte Voraussetzung für ein friedliches Nebeneinander der Weltanschauungen und Kulturen ansehen, wird im Neuen Testament regelrecht verworfen. Programmatische Bibelstellen wie »Niemand kommt zum Vater außer durch mich« (Johannes, Kap. 14, Vers 6) oder »Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden« (Markus, Kap. 16, Vers 16) verurteilen und grenzen in ihrer Aussage Menschen mit anderen Auffassungen aus. Auch deswegen dürfte den »christlichen Werten« keinesfalls Allgemeingültigkeit zugesprochen werden. Die heute von den Kirchen geübte Duldsamkeit gegenüber anderen Glaubensvorstellungen folgt nicht aus biblischer Erleuchtung sondern erzwungener Einsicht in die politische Notwendigkeit.
Die verzweifelten Versuche von Theologen, die altertümlichen Texte der Bibel durch geradezu willkürliche Auslegungen für den heutigen Menschen akzeptabel zu machen, offenbaren das ganze Dilemma. Diese Interpretationswillkür mit vielfach sich widersprechenden Auslegungen zeigt, wie bronzezeitlich und damit außerhalb unserer Zeit die allermeisten Texte dieser sog. Heiligen Schriften sind. Nur durch sehr großzügige Deutung und zusätzlich (!) stillschweigender Berücksichtigung heute allgemein akzeptierter moralischer Prinzipien lassen sich – ausgewählte! – Bibeltexte noch als normgebend und moralstiftend »retten«.
Die »christlichen Werte« ignorieren die Werte der Aufklärung
Die entscheidenden Prinzipien bzw. Kriterien, nach denen selbst bibeltreue Christen die Steinigung von Ehebrecherinnen, das Töten von Homosexuellen oder etwa das Kaufen und Halten von Sklaven ablehnen, obwohl diese Gebote bzw. Aufforderungen biblisch legitimiert sind, stammen gerade nicht aus der Bibel, sie sind ein Ergebnis der auf Vernunft gründenden Aufklärung. Es ist noch nicht lange her, da wurden die Bibel und ihre Botschaft ganz gegenteilig gedeutet.
Es gilt vielmehr festzustellen: Nur der »harte Kern« der Zehn Gebote hat Bestand, weil er das Ergebnis evolutionärer Entwicklung ist, er hatte daher schon immer weltweite Gültigkeit. Die darüber hinaus uns heute wichtigen Werte und Normen stammen nicht aus der Bibel, sie sind Ergebnis moralisch-ethischer Weiterentwicklung. Es sind dies die Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit als geradezu grundlegendes Recht, das Recht auf Selbstbestimmung, Gleichheit und Gleichberechtigung, Religions- und Wissenschaftsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und vieles andere mehr. Nichts davon steht in der Bibel, sie steht einem demokratischen, die Menschenrechte verbürgenden Staat geradezu entgegen. Alle diese Rechte mussten dem Christentum bzw. einer politisch agierenden Kirche in verlustreichen Kämpfen abgetrotzt werden. (4)
Erinnert sei an die Worte des evangelischen Theologen F. W. Graf, München, wonach noch in den 1950er Jahren in beiden großen Kirchen der Begriff der Menschenrechte kritisch als »liberalistische Verirrung« aufgefasst wurde (5). Dass unsere heutige politische und gesellschaftliche Kultur auf christlichen Werten beruhe, ist also höflich ausgedrückt: eine Legende, deutlicher formuliert: eine bewusste Irreführung. Geradezu skrupellos ist es, wenn sich die Kirchen – wie oft in Diskussionen zu hören – als Quelle der Menschenrechte und Mitgestalter der Aufklärung aufspielen.
Wir können somit festhalten: Es ist nachweislich falsch, dass eine nach-christliche bzw. nicht-christliche Gesellschaft ohne verbindliche Werte dastünde. Unsere heutigen grundlegenden und maßgeblichen Werte sind immer noch die, die in der Aufklärung wurzeln. Die Kirche und die ihr gläubig folgenden Politiker versuchen, das »Rad der moralischen Geschichte« zurückzudrehen, wenn sie Bibel und christliche Lehre wieder zum alleinigen Maßstab machen wollen. Mit diesem Werte- und Normenkanon lassen sich heutige ethische Fragen – ausgelöst vor allem durch medizin- und gentechnische Entwicklungen, aber auch durch Informationstechnologie und Globalisierung – schon längst nicht mehr problemangemessen beantworten. Die sog. christlichen Werte bilden allenfalls noch eine historische Reminiszenz, sie sind längst überformt und erweitert worden durch die mühsam und verlustreich errungenen Früchte der Aufklärung.Anmerkungen:
(1) Einen Überblick gibt Sikandar Siddiqui: Brauchen Werte Gott? Verfügbar über: www.fowid.de à Textarchiv, Erweiterte Suche. Man google zunächst unter den Schlagwörtern »Kyros Sklaven Religion«, hier die Seiten von »human-rights« – »Sophisten Antiphon Alkidamas« – »Cicero Erhabenheit Würde«. Dort weitere Literaturhinweise.
(2) 2. Buch Mose, Exodus, Kap. 20, Vers 1–21. Einheitsübersetzung – Bibeltext, hrsg. von den kathol. und evangel. Kirchen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Herder Verlag 1980.
(3) Matthäus, Kap. 5, Vers 5–10. Einheitsübersetzung. Siehe Anm. (2)