Die offene Gesellschaft und ihre Feinde – und ihre fehlenden Freunde

Die offene Gesell­schaft und ihre Feinde”, so lautet der Titel des wohl bekann­tes­ten Werks von Karl R. Popper.1 In diesem 1945 erschie­ne­nen Buch kenn­zeich­net er eine offene Gesell­schaft vor allem durch ihre Fähig­keit und Bereit­schaft zu Anpas­sung und Ver­än­de­rung. Ele­men­tare Vor­aus­set­zun­gen dazu sind Mei­nungs­frei­heit, Dis­kus­si­ons­fä­hig­keit und das Zulas­sen von Kritik.

Eine offene Gesell­schaft sollte sich des­halb vehe­ment wehren, wenn diese ihre Wesens­merk­male bedroht werden durch Kräfte mit dog­ma­tisch fest­ge­leg­ten gesell­schaft­li­chen Vor­stel­lun­gen. Solche geschlos­se­nen, meist reli­giös domi­nier­ten Gesell­schaf­ten, ins­be­son­dere deren Regen­ten, haben Angst vor Mei­nungs­frei­heit und Kritik, weil diese ihre Macht in Frage stel­len. Sie schüt­zen sich vor Macht­ver­lust durch die gewalt­same Unter­drü­ckung des Rechts auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung und Kritik am Bestehenden.

Neben dem Recht auf unge­hin­derte Mei­nungs­äu­ße­rung, die von kon­sti­tu­ti­ver Bedeu­tung für eine offene Gesell­schaft ist, gehört zum Bei­spiel auch das Recht der freien Ent­fal­tung und Aus­übung einer Reli­gion oder nicht­re­li­giö­sen Welt­an­schau­ung. Ist bei uns dieses Recht für jeder­mann ohne Angst noch wahr­nehm­bar? Leider ist das in vielen Fällen nicht mehr gewähr­leis­tet. Es findet nicht nur ein offen geäu­ßer­ter Anti­se­mi­tis­mus statt, in letz­ter Zeit beson­ders von mus­li­mi­scher Seite, selbst die Bemü­hun­gen um einen “libe­ra­le­ren” bzw. “auf­ge­klär­te­ren” Islam werden von ortho­dox-mus­li­mi­scher Seite massiv bekämpft. Dass Nicht­mus­lime, ins­be­son­dere Nicht­re­li­giöse wie Athe­is­ten, von über­zeug­ten Mus­li­men als Men­schen min­de­ren Rangs ange­se­hen werden, wider­spricht eben­falls den Prin­zi­pien unse­rer Art des Zusammenlebens.

Die fol­gen­den Aus­füh­run­gen the­ma­ti­sie­ren, dass inzwi­schen auf vielen Ebenen ein Kul­tur­kampf statt­fin­det zwi­schen einer­seits der hier bestehen­den Gesell­schafts­ord­nung, die sich bisher durch einen offe­nen und unge­hin­der­ten Aus­tausch von Mei­nun­gen und der beding­ten Akzep­tanz unter­schied­li­cher Lebens­wei­sen und Welt­an­schau­un­gen aus­zeich­nete, mit ande­rer­seits einer zuge­wan­der­ten Kultur, die in ihrer radi­ka­len Aus­prä­gung den Anspruch erhebt, dass ihre Werte und Normen ohne Abstri­che von der auf­neh­men­den Gesell­schaft zu akzep­tie­ren seien.

Die fol­gen­den ein­füh­ren­den Bei­spiele stel­len nur schein­bar Gesten ver­ständ­nis­vol­len Ent­ge­gen­kom­mens dar, sie dürf­ten bereits als Indi­zien für eine zuneh­mende Selbst­auf­gabe der auf­neh­men­den Gesell­schaft zu werten sein:

Der Dis­coun­ter Aldi nimmt ein Sei­fen­pro­dukt mit einer Moschee auf der Ver­pa­ckung aus dem Sor­ti­ment – Ein Verlag ent­fernt aus allen seinen Schul­bü­chern das Wort Schwein­fleisch – Das Thema Islam ist auf Kar­ne­vals­ver­an­stal­tun­gen und Kar­ne­vals­wa­gen tabu, im Gegen­satz zu den Themen Kirche und Papst – Ein Uni­ver­si­täts­prä­si­dent ver­bie­tet eine Kunst­aus­stel­lung mit Bil­dern, auf denen unbe­klei­dete Frauen zu sehen sind, da damit die Gefühle mus­li­mi­scher Stu­den­tin­nen ver­letzt würden – Es gibt Kin­der­gär­ten, in denen Schin­ken­brote und Gum­mi­bär­chen zumin­dest uner­wünscht sind, weil sie Schwei­ne­fleisch ent­hal­ten – Die Deut­sche Oper Berlin setzte die Mozar­t­oper Ido­me­neo ab, da wegen ver­meint­li­cher Moham­med-Kritik radi­kal-mus­li­mi­sche Atta­cken befürch­tet werden – Weih­nachts­fei­ern in man­chen Schu­len und Kin­der­gär­ten werden abge­sagt, da sie für Mus­lime “unzu­mut­bar” seien – Dass ortho­dox-mus­li­mi­sche Männer sich wei­gern, der Leh­re­rin ihrer Kinder die Hand zu geben, wird zwar bedau­ert, aber hin­ge­nom­men – In eini­gen Hal­len­bä­dern wurde durch­ge­setzt, dass zu bestimm­ten Zeiten nur mus­li­mi­sche Frauen Zutritt haben.

Diese mehr zufäl­lig aus­ge­wähl­ten Bei­spiele sind nur schein­bar harm­lose Gesten des Nach­ge­bens. Sie sind Sym­ptome eines Ver­hal­tens, das eine Anpas­sung an eine Kultur dar­stellt, die mit einer offe­nen und freien Gesell­schaft nicht kom­pa­ti­bel ist. Aber darf man das so deut­lich noch sagen? Von Aya­tholla Kho­meini wurde das Wort “Isla­mo­pho­bie” geprägt und von (meist linken) Kul­tur­re­la­ti­vis­ten zum Kampf­be­griff gemacht, um selbst sach­li­che Dis­kus­sio­nen zur Pro­ble­ma­tik des Ein­flus­ses isla­mi­schen Gedan­ken­guts und ortho­do­xer mus­li­mi­scher Kreise auf unsere freie und offene Gesell­schaft zu ver­un­glimp­fen. Der dis­kre­di­tie­rende Begriff “isla­mo­phob” wird bewusst ein­ge­setzt, um islam­kri­ti­sche Dis­kus­sio­nen abzu­blo­cken. Weil solche Kritik angeb­lich von rechts­extre­mer und frem­den­feind­li­cher Seite kommen würde – so wird unter­stellt – ver­biete es sich, auf solche Debat­ten über­haupt ein­zu­ge­hen. Tat­säch­lich soll die Dis­kus­sion von ver­fas­sungs­feind­li­chen und men­schen­rechts­wid­ri­gen Aus­sa­gen in Koran und Scha­ria und bedenk­li­chen Ent­wick­lun­gen in den mus­li­mi­schen Orga­ni­sa­tio­nen wie DITIB, ZMD, Milli Görüs, über­haupt von strit­ti­gem reli­giös-mus­li­mi­schen Ver­hal­ten ver­hin­dert werden. Nur neben­bei sei erwähnt, dass sich hinter der Ver­wen­dung dieses dis­kri­mi­nie­ren­den Begriffs natür­lich Über­le­gun­gen auf­grund ganz anders­ar­ti­ger lang­fris­ti­ger poli­ti­scher Ziele verbergen.

Von frag­wür­di­ger Begrün­dung und Wir­kung ist auch das sog. Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz. Es ist in Deutsch­land seit Anfang 2018 in Kraft, beschlos­sen übri­gens von höchs­tens 60 (!) Abge­ord­ne­ten.2 Es soll Hetze und Falsch­mel­dun­gen vor allem in den Sozia­len Medien unter­bin­den. Fak­tisch führt es nach bis­he­ri­gen Erfah­run­gen dazu, dass zum Bei­spiel auf Face­book in erster Linie islam­kri­ti­sche Bei­träge gelöscht werden, oft unab­hän­gig davon, wie sach­lich die Argu­men­ta­tion erfolgt. Ande­rer­seits blie­ben auf­fäl­lig oft het­ze­ri­sche und zu Gewalt gegen unsere Ord­nung auf­ru­fende Video­bei­träge mus­li­mi­scher Quel­len unbe­hel­ligt. Die von Face­book zur Kon­trolle der Bei­träge ein­ge­setz­ten Mit­ar­bei­ter sind keine Juris­ten, sie wurden ledig­lich ange­lernt, maßen sich aber rich­ter­li­che Funk­tio­nen an. Beschwer­den sei­tens der Betrof­fe­nen gegen Bei­trags­lö­schun­gen sind nur auf­wän­dig mög­lich, da sie ohne rechts­an­walt­li­che Hilfe meist wir­kungs­los blei­ben. Der Ein­druck dürfte nicht trügen, dass hier poli­tisch uner­wünschte Dis­kus­sio­nen unter­drückt werden sollen. Gene­rell ist zu diesem Gesetz zu sagen, dass es dem Prin­zip der grund­ge­setz­lich garan­tier­ten Mei­nungs­frei­heit wider­spricht und daher aus juris­tisch kom­pe­ten­ter Sicht als ver­fas­sungs­wid­rige Zensur emp­fun­den wird.3 Für Hetze und Belei­di­gun­gen soll­ten ordent­li­che Gerichte zustän­dig sein.

Als sei­ner­zeit Salman Rush­die seine “Sata­ni­schen Verse” ver­öf­fent­lichte, wurde eine töd­li­che, bis heute gel­tende Fatwa gegen ihn aus­ge­spro­chen. Die west­li­che Welt empörte sich anfangs, reagierte danach nur noch pflicht­ge­mäß und defen­siv. Das Trau­er­spiel wie­der­holte sich, als zum Bei­spiel der däni­sche Kari­ka­tu­rist Kurt Wes­ter­gaard seine Moham­med-Figu­ren ver­öf­fent­lichte. Er muss bis auf den heu­ti­gen Tag vor seinen mus­li­mi­schen Ver­fol­gern geschützt werden.

Auch die fran­zö­si­sche Sati­re­zeit­schrift Char­lie Hebdo nahm das Recht auf Kunst- und Mei­nungs­frei­heit wahr und ver­öf­fent­lichte eben­falls kari­kie­rende Moham­med-Zeich­nun­gen und dazu kri­ti­sche Texte. Ein Groß­teil der Redak­tion hat das bekannt­lich mit seinem Leben bezahlt. Die über­le­ben­den Redak­ti­ons­mit­glie­der zeigen Zivil­cou­rage und führen die Zeit­schrift im Geiste ihrer getö­te­ten Kol­le­gen weiter. Den poli­zei­li­chen Schutz für ihre täg­li­che Sicher­heit von ca. 1,5 Mil­lio­nen Euro jähr­lich müssen sie selbst tragen.4 Man kann daran erken­nen, was dem fran­zö­si­schen Staat das grund­le­gende Recht auf Kunst- und Mei­nungs­frei­heit und die phy­si­sche Sicher­heit seiner Bürger noch wert ist. Oder ist es bereits das Ein­ge­ständ­nis, als Ord­nungs­macht inzwi­schen kapi­tu­liert zu haben?

Exem­pla­risch für die akute Bedro­hung von Mei­nungs­frei­heit durch den poli­ti­schen Islam ist die Situa­tion des deutsch-ägyp­ti­schen Poli­to­lo­gen Hamed Abdel-Samad, Sohn eines Imam, Ver­fas­ser meh­re­rer islam­kri­ti­scher Bücher. Er geriet im Sommer 2013 ins Visier der mili­tan­ten Mus­lim­bru­der­schaft und erhielt wie­der­holt Mord­dro­hun­gen. Seit­dem steht er unter stän­di­gem Schutz von vier Leib­wäch­tern des BKA, um ihn vor mus­li­mi­schen, ihm nach dem Leben trach­ten­den Fun­da­men­ta­lis­ten zu schüt­zen. Er behan­delt in seinen Schrif­ten und Vor­trä­gen das unge­klärte Ver­hält­nis des Islam zur Demo­kra­tie und den Men­schen­rech­ten. Seine Kritik zielt u. a. auf jene Kräfte, die aus dem Aus­land gesteu­ert in deut­schen Moscheen und mus­li­mi­schen Kul­tur­ver­ei­nen dazu auf­ru­fen, hier isla­mi­sche Gesetze zu ver­an­kern, mit unse­rem libe­ra­len Denken unver­ein­bare Lebens­wei­sen zu eta­blie­ren und “Ungläu­bige”, vor allem Juden, zu ächten und zu ver­fol­gen. Sein “Schick­sal” hat bereits viele Kri­ti­ker des poli­ti­schen Islam aus Sorge um das eigene Leben zum Schwei­gen gebracht. Der Komö­di­ant Hape Ker­ke­ling und der Kaba­ret­tist Harald Schmidt erklär­ten schon vor Jahren öffent­lich, dass sie aus Angst um ihre Sicher­heit den Islam nicht sati­risch the­ma­ti­sie­ren würden. Das alles sind bereits “beach­tens­werte Erfolge” für die Feinde unse­rer offe­nen Gesellschaft.

Was Abdel-Samad aus­zeich­net, ist sein immer sach­lich vor­ge­tra­ge­nes, detail­rei­ches Wissen über den Islam und seine poli­ti­schen Anfüh­rer im ara­bi­schen Raum und in Deutsch­land. Die meis­ten deut­schen Poli­ti­ker wollen seine Infor­ma­tio­nen und Ansich­ten nicht zur Kennt­nis nehmen. (Siehe z. B. sein neu­es­tes Buch). Erfolgt diese Igno­ranz aus Sym­pa­thie zu einer “befreun­de­ten” Reli­gion oder ein­fach der Wäh­ler­stim­men wegen, die sie sich aus dem Lager der Mus­lime erhof­fen? Dass inzwi­schen grund­le­gende Werte unse­rer Gesell­schaft unter die Räder gera­ten, scheint man nicht sehen zu wollen. Ist es nicht ein poli­ti­scher Skan­dal ohne­glei­chen, dass in einer freien Gesell­schaft Men­schen wegen sach­lich vor­ge­tra­ge­ner Kritik nicht mehr ohne stän­di­gen Poli­zei­schutz sicher sein können? In Deutsch­land und Europa ver­un­si­chern solche Bedro­hun­gen inzwi­schen hun­derte, wenn nicht tau­sende von Autoren, Künst­ler, Poli­ti­ker, Amts­per­so­nen oder Lehrer von mus­li­mi­schen Kindern.

Auch so man­cher Rich­ter muss sich vor Repres­sa­lien gegen sich und seine Fami­lien fürch­ten, wenn er Recht streng nach dem Gesetz spre­chen würde. Wie anders ist es denn bei­spiels­weise zu erklä­ren, dass Täter mus­li­mi­scher Her­kunft bis zu 60mal (!) und mehr hin­ter­ein­an­der Bewäh­rungs­stra­fen erhal­ten? Wie viele Ange­hö­rige der Ber­li­ner Rich­ter­schaft und Staats­an­walt­schaft haben bei ihren zu bear­bei­ten­den Fällen den von man­chen bezwei­fel­ten Frei­tod der Ber­li­ner Jugend­rich­te­rin Kirs­ten Heisig vor Augen, die viel mit jugend­li­chen Tätern tür­ki­schen und ara­bi­schen Hin­ter­grunds zu tun hatte? In wie vielen Fällen findet aus Sorge um die per­sön­li­che und fami­liäre Sicher­heit die Berück­sich­ti­gung sach­frem­der Gründe bei ihrer Tätig­keit statt? Inter­es­siert das unsere Poli­ti­ker über­haupt noch? Auf­grund ihrer Rat­lo­sig­keit hat sich das Gros unse­rer Poli­ti­ker fak­tisch längst mit der Ein­schrän­kung des grund­le­gen­den Rechts auf Mei­nungs­frei­heit, auf Poli­zei­schutz von unge­zähl­ten unbe­schol­te­nen Bür­gern, auf den nicht beherrsch­ba­ren Ein­fluss von hoch­kri­mi­nel­len ara­bi­schen Clans auf Poli­tik und Justiz – um nur mal ein beson­ders mar­kan­tes Bei­spiel zu erwäh­nen – abge­fun­den und nimmt damit einen par­ti­el­len Abbau von Rechts­staat­lich­keit und Grund­rech­ten hin.5

Der Islam selbst als bloße Glau­bens­lehre stellt ein Pro­blem dar. Allent­hal­ben spie­len wieder reli­giöse Fragen eine Rolle – in der Kita, in der Schule, an der Uni­ver­si­tät, am Arbeits­platz, im Staats­dienst, im öffent­li­chen Leben. Als nicht­gläu­bi­ger Mensch und erklär­ter Nicht­christ reagiere ich sehr emp­find­lich, wenn durch Zuwan­de­rung aus mus­li­mi­schen Län­dern uns eine wei­tere Reli­gion “auf­ge­drückt” werden soll, die in Vielem noch into­le­ran­ter, mit­tel­al­ter­li­cher und wis­sen­schafts­feind­li­cher ist, als das, was wir hier in Europa in den letz­ten etwa zwei Jahr­hun­der­ten erle­ben muss­ten. Dabei unter­scheide ich sehr wohl zwi­schen jenen Men­schen einer­seits, die zwar tra­di­tio­nell mus­li­misch-reli­giös sind, aber ihren Glau­ben als eine privat-per­sön­li­che Ange­le­gen­heit betrach­ten und inso­fern das Recht auf Bekennt­nis­frei­heit wahr­neh­men, und ande­rer­seits jenem Teil streng­gläu­bi­ger, viel­fach fun­da­men­ta­lis­tisch ein­ge­stell­ter Mus­lime, die nicht bereit sind zu akzep­tie­ren, dass wir hier eine über­wie­gend säku­lare Gesell­schaft bilden und grund­sätz­lich bemüht sind, Reli­gion und Staat zu tren­nen. Diese fun­da­men­ta­lis­ti­schen mus­li­mi­schen Kreise sind ent­schie­dene Ver­tre­ter einer reli­giös gesteu­er­ten Gesell­schaft, sie sind somit Feinde einer offe­nen, freien und auf­ge­klär­ten, weil vernunft‑, nicht reli­gi­ons­ori­en­tier­ten Gesellschaft.

Es ist doch für die Situa­tion sym­pto­ma­tisch, dass libe­ral ein­ge­stellte Mus­lime, die hier einen auf­ge­klär­ten Islam zu ent­wi­ckeln ver­su­chen, von fun­da­men­ta­lis­ti­scher Seite regel­recht ver­folgt werden. Ich denke an den von ortho­dox-mus­li­mi­scher Seite ange­fein­de­ten Prof. Mouha­nad Khor­chide an der Uni­ver­si­tät Müns­ter, an Dr. Abdel-Hakim Ourghi an der Päd­ago­gi­schen Hoch­schule in Frei­burg oder an die mus­li­mi­sche Anwäl­tin Seyran Ateş in Berlin. Frau Ateş grün­dete in Berlin die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, in der ein Islam gelehrt wird, der zum Bei­spiel die abso­lute Gleich­be­rech­ti­gung der Frau prak­ti­ziert und nicht den Anspruch erhebt, die gesamte Gesell­schaft im Sinne von Koran und Scha­ria zu regle­men­tie­ren. Sie erhält Todes­dro­hun­gen und steht inzwi­schen eben­falls unter Polizeischutz.

Die vielen uns feind­lich gegen­über­ste­hen­den Parallel‑, viel­fach eigent­lich Gegen-Gesell­schaf­ten, sind für mich trau­rige Anschau­ungs­bei­spiele für die poli­ti­sche Kon­zep­ti­ons­lo­sig­keit bei der Bewäl­ti­gung von Pro­ble­men, die beim Zusam­men­stoß nor­ma­tiv unter­schied­lich basier­ter Gesell­schaf­ten auf­tre­ten, und für die ver­brei­tete fak­ti­sche Gleich­gül­tig­keit gegen­über der viel­fach zu beob­ach­ten­den, aber offi­zi­ell geleug­ne­ten Demon­tage von Prin­zi­pien unse­res Gesell­schafts­mo­dells. Nicht ver­ein­bar mit unse­rem Ver­fas­sungs­ver­ständ­nis, aber Alltag in vielen euro­päi­schen mus­li­mi­schen Enkla­ven, sind u. a. die feh­lende Gleich­be­rech­ti­gung der Frau, Viel- und Kin­der­ehen, der Ein­griff in die kör­per­li­che Unver­sehrt­heit von Kin­dern, die Äch­tung von Homo­se­xua­li­tät, die feh­lende Tole­ranz gegen­über ande­ren Reli­gio­nen, ins­be­son­dere gegen­über dem Juden­tum, vor allem der von Koran und Scha­ria vor­ge­schrie­bene Ein­fluss auf das gesell­schaft­li­che und staat­li­che Han­deln. Spe­zi­ell die Scha­ria ist mit unse­rem Rechts­ver­ständ­nis nicht ver­ein­bar. Aiman Mazyek, Vor­sit­zen­der des Zen­tral­rats der Mus­lime in Deutsch­land, jedoch erklärt öffent­lich, dass Scha­ria und Grund­ge­setz sehr wohl ver­ein­bar seien.

Unsere der­zei­tige Poli­tik kommt diesen wesent­li­che Ver­fas­sungs­prin­zi­pien ableh­nen­den und inte­gra­ti­ons­un­wil­li­gen Men­schen den­noch mit immer mehr Zuge­ständ­nis­sen ent­ge­gen: durch einen staat­lich geför­der­ten, über­wie­gend kon­ser­va­ti­ven Reli­gi­ons­un­ter­richt bei gleich­zei­ti­ger Hin­nahme eines weit ver­brei­te­ten Bil­dungs­des­in­ter­es­ses, durch ach­sel­zu­cken­des Akzep­tie­ren eines auf der Scha­ria basie­ren­den Rechts­sys­tems in vielen mus­li­misch domi­nier­ten Bezir­ken und inzwi­schen quasi rechts­freier Räume, in die sich die Poli­zei nur mit bewaff­ne­ter Ver­stär­kung wagt, Ver­gabe von Sitzen in Rund­funk- und Fern­sehrä­ten – Kon­fes­si­ons­freie und Huma­nis­ten in fast fünf­fach so großer Anzahl sind dies­be­züg­lich fast chan­cen­los –, kul­tur­re­la­ti­vis­ti­sches Her­un­ter­spie­len von mit­tel­al­ter­li­chen Tra­di­tio­nen, sich wider­spre­chende Recht­spre­chung höchs­ter Gerichte zu Fragen mit reli­giö­sem Bezug und ande­res mehr. Unsere libe­rale Ver­fas­sung und unser dem gesell­schaft­li­chen Ent­wick­lungs­stand ange­passte Straf­recht ent­spre­chen nur bedingt der Men­ta­li­tät von Men­schen aus Kul­tu­ren, in denen noch die Reli­gion ton­an­ge­bend ist, nur ansatz­weise Rechts­staat­lich­keit exis­tiert und viel­fach noch Stam­mes­den­ken herrscht. Grö­ßere Grup­pen glei­cher Natio­na­li­tät, Spra­che und Reli­gion blei­ben daher gern unter ihres­glei­chen und bilden Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten als Staat im Staate, sepa­rat lebende Migran­ten dage­gen zeigen am ehes­ten Anpassungsbereitschaft.

Jene unsere Lebens­weise ableh­nen­den Mus­lime bilden mög­li­cher­weise nicht die Mehr­heit – obwohl bemer­kens­wer­ter­weise eine deut­li­che Mehr­heit der Türken und Deut­schen mit tür­ki­schen Wur­zeln in Berlin und andern­orts in Erdo­gan “ihren” Prä­si­den­ten sehen – sie para­ly­sie­ren aber auf­grund ihrer aggres­si­ven Ent­schlos­sen­heit und bei gleich­zei­tig staat­li­cher Aner­ken­nung und sogar finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung den­noch auf Dauer unsere Kultur, unser Rechts­sys­tem und grund­le­gende Normen unse­rer Ver­fas­sung. Sie drän­gen deut­sche Min­der­hei­ten in mus­li­misch gepräg­ten Stadt­tei­len, beson­ders in Schu­len, in Zeiten zurück, die wir über­wun­den glaub­ten. Poli­ti­sche und zum Teil zusätz­li­che finan­zi­elle Unter­stüt­zung genie­ßen gerade die ortho­dox ori­en­tier­ten mus­li­mi­schen Orga­ni­sa­tio­nen, hier ist in erster Linie die DITIB zu nennen, die bekannt­lich per­so­nell, finan­zi­ell und wei­sungs­mä­ßig der tür­ki­schen Reli­gi­ons­be­hörde in Ankara unter­stellt ist. In Berlin deckte der Fall Amri schlag­licht­ar­tig das Zustän­dig­keits­chaos der Behör­den und die Über­for­de­rung zumin­dest der unte­ren Ebenen der Sicher­heits­dienste beim Abwehr­kampf gegen fun­da­men­ta­lis­tisch-mus­li­mi­sche Umtriebe auf. Aktu­ell zeigt die Bamf-Affäre in Bremen, wie eine nicht durch­dachte Migra­ti­ons­po­li­tik die Ver­wal­tung über­for­dert und der Gesetz­lo­sig­keit die Tore geöff­net hat. Denn augen­schein­lich wurden in großem Stil Asyl­an­träge befür­wor­tet für Per­so­nen, deren Iden­ti­tät weder bekannt war noch die zustän­dige Behörde inter­es­sierte. Ent­schlos­sene und wirk­same Ver­tei­di­gung “unse­rer Art zu leben” (O‑Ton Frau Merkel) sieht jeden­falls anders aus.

Die “offene Gesell­schaft” ver­mit­telt gegen­wär­tig nicht den Ein­druck, dass sie in der not­wen­di­gen Breite wil­lens und in der Lage wäre, sich ihrer Feinde zu erweh­ren. Nicht nur dass wir immer noch die unge­recht­fer­tigte poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Domi­nanz der christ­li­chen Kir­chen hin­zu­neh­men haben, mit dem Islam ist eine wei­tere Reli­gion mit ver­gleich­ba­rem Macht- und Pri­vi­le­gi­en­an­spruch auf den Plan getre­ten. Was hätten wir zu erwar­ten, wenn sich zuneh­mend die reli­giös-poli­ti­schen Vor­stel­lun­gen zum Bei­spiel der DITIB hier durch­setz­ten? Ist es nicht höchst bemer­kens­wert, dass die kom­pe­ten­tes­ten Kri­ti­ker unse­rer der­zei­ti­gen Migra­ti­ons­po­li­tik gro­tes­ker­weise Zuwan­de­rer aus mus­li­mi­schen Län­dern sind? Ich denke zum Bei­spiel – neben Hamed Abdel Samad – etwa an Necla Kelek, Mina Ahadi, Ayaan Hirsi Ali, auch Seyran Ateş, ferner Bassam Tibi, Ralph Ghad­ban, Imad Karim oder etwa Ahmad Man­sour. Sie haben am eige­nen Leib erfah­ren, was es heißt in Län­dern zu leben, die streng reli­giös aus­ge­rich­tet sind. Sie sind wahre Ver­tre­ter einer offe­nen Gesell­schaft, mit denen unsere Poli­ti­ker zusam­men­ar­bei­ten soll­ten, statt vor allem mus­li­mi­sche Orga­ni­sa­tio­nen, die reli­giös-dog­ma­ti­sche Heils­leh­ren ver­brei­ten, zu finan­zie­ren und poli­tisch zu hofieren.

Die Offen­heit und Frei­heit unse­res Gesell­schafts­mo­dells bedeu­tet nicht Belie­big­keit und Gren­zen­lo­sig­keit. Tole­ranz gegen­über ande­ren Auf­fas­sun­gen, hinter denen sich letzt­lich immer auch Absich­ten ver­ber­gen, muss selbst­ver­ständ­lich Gren­zen kennen, sonst hebt sich bekannt­lich Tole­ranz selbst auf. Tole­rie­ren heißt, formal zu akzep­tie­ren, dass der andere das Recht auf einen eige­nen, von dem meinen abwei­chen­den Stand­punkt hat. Inhalt­lich jedoch muss es erlaubt sein, ja gebo­ten, die Mei­nung des ande­ren mit Argu­men­ten zu kri­ti­sie­ren, gege­be­nen­falls sogar ent­schie­den abzu­leh­nen. Auf eine kurze Formel gebracht: Respekt vor dem ande­ren Men­schen – sofern er wenigs­tens die hier übli­chen Formen gewalt­freien Mit­ein­an­der­um­ge­hens akzep­tiert – nur beding­ter, gege­be­nen­falls kein Respekt vor dessen Auffassungen.

Auch die Frei­heit hat Gren­zen. Die eigene Frei­heit endet bekannt­lich dort, wo die Inter­es­sen und Bedürf­nisse des ande­ren tan­giert werden. Dabei steht die Frei­heit zugleich in einer pro­ble­ma­ti­schen Wech­sel­wir­kung mit der Sicher­heit. Die nicht zu leug­nende, täg­lich zu beob­ach­tende aktive Bedro­hung der gesell­schaft­li­chen und indi­vi­du­el­len Sicher­heit erfor­dert frei­heits-ein­schrän­kende Maß­nah­men, die früher nicht erfor­der­lich waren. Die reflex­ar­tig erfol­gende War­nung vor einem Über­wa­chungs­staat ver­kennt die ver­än­derte Situa­tion auf­grund einer zuge­wan­der­ten polit-reli­giö­sen Kultur, deren ortho­doxe Ver­tre­ter statt des Aus­tauschs von Argu­men­ten und Mehr­heits­ent­schei­dun­gen auf reli­giös begrün­de­ten Ansprü­chen behar­ren und oft genug keine Scheu haben, im Namen ihres Gottes Gewalt aus­zu­üben, zumin­dest still­schwei­gend zu akzep­tie­ren. Nach Frau Mer­kels Emp­feh­lung soll­ten wir uns, “die Art, wie wir leben, nicht kaputt­ma­chen lassen”. Aber wir haben inzwi­schen stun­den­lange Flug­ha­fen­kon­trol­len, Absa­gen von Groß­ver­an­stal­tun­gen, Sperr­maß­nah­men auf Märk­ten, täg­li­che Mes­ser­at­ta­cken (allein in Berlin im Jahr 2017 2.737 Atta­cken6), zumin­dest nachts und an öffent­li­chen Orten ein ein­ge­schränk­tes Sicher­heits­ge­fühl, ein vor­aus­ei­len­des Ver­zich­ten auf poli­tisch uner­wünschte Auf­fas­sun­gen. Die Wirk­lich­keit, Frau Bun­des­kanz­le­rin, sieht deut­lich anders aus, als aus dem Inne­ren eines pan­zer­glas­ge­schütz­ten Dienst­wa­gens betrachtet.

Es ist nicht mehr zu über­se­hen, dass unsere Gesell­schaft inzwi­schen einer neuen Bedro­hung aus­ge­setzt ist, dies­mal vom poli­tisch agie­ren­den Islam aus­ge­hend. Wobei die christ­li­chen Kir­chen kei­nes­wegs ein­deu­tig zu den Ver­fech­tern der Grund- und Men­schen­rechte gezählt werden können. Die Kir­chen sym­pa­thi­sie­ren viel­mehr mit dem hier agie­ren­den Islam, und zwar aus reli­giö­sen und poli­ti­schen Grün­den. Die Reprä­sen­tan­ten der christ­li­chen Kir­chen, allen voran die Polit-Theo­lo­gen Kar­di­nal Rein­hard Marx und Bischof Hein­rich Bedford-Strohm, wehren jede essen­ti­elle Kritik am Islam ab. Ahnen sie doch, dass eine sub­stan­ti­elle Aus­ein­an­der­set­zung mit dieser Reli­gion letzt­lich auch ihre Glau­bens­lehre tref­fen würde. Die Kir­chen sehen viel­mehr in einer wei­te­ren betont geleb­ten Glau­bens­lehre eine will­kom­mene gesell­schaft­li­che Auf­wer­tung der Reli­gion und eine bestär­kende Recht­fer­ti­gung ihrer Pri­vi­le­gien. Dar­über hinaus eine Stär­kung der Front gegen die ver­ach­te­ten, zumin­dest uner­wünsch­ten Säku­la­ren und Huma­nis­ten. Von dieser Seite ist also auch keine Unter­stüt­zung im poli­ti­schen Kampf gegen eine reli­giöse Ideo­lo­gie zu erwar­ten, die uns wieder in Rich­tung Vor­auf­klä­rung drän­gen würde. Die libe­rale Imamin Seyran Ateş wirft den Kir­chen vor, die Bedro­hung durch den ortho­do­xen Islam nicht wahr­ha­ben zu wollen.7

Ich ziehe unser Gesell­schafts­mo­dell einer Gesell­schafts­ord­nung vor, die wesent­lich noch von einer mit­tel­al­ter­li­chen Reli­gion bestimmt wird, die in der Vor­auf­klä­rung stehen geblie­ben ist, und deren Mit­glie­der sich oft noch mehr ihrem Stamm als ihrem jewei­li­gen Land ver­pflich­tet fühlen. Wenn wir nicht bereit sind, unser Gesell­schafts­mo­dell offen­siv – nicht aggres­siv! – im poli­ti­schen Alltag und in der schu­li­schen Bil­dung zu ver­tei­di­gen, und wenn wir wei­ter­hin eine Zuwan­de­rung aus mus­li­mi­schen Län­dern zulas­sen, ohne uns zu ver­ge­wis­sern, dass unser Gesell­schafts­mo­dell in seinen Grund­zü­gen akzep­tiert wird, dann wird die offene und freie Gesell­schaft nur ein kurzes geschicht­li­ches Zwi­schen­spiel gewe­sen sein. Es ist nicht die zah­len­mä­ßige Stärke einer Bewe­gung, die aus­schlag­ge­bend für deren Erfolg ist. Es sind die Ent­schlos­sen­heit, die Aggres­si­vi­tät, die Skru­pel­lo­sig­keit im Ein­satz der Mittel, die die Gegner einer freien und auf­ge­klär­ten Gesell­schaft zeigen, die letzt­lich entscheiden.

Um des inne­ren Frie­dens willen kann es des­halb in einer mul­ti­welt­an­schau­li­chen Gesell­schaft keine unein­ge­schränkte Reli­gi­ons­frei­heit geben. Unein­ge­schränkte Reli­gi­ons­frei­heit zuzu­las­sen bedeu­tet, den reli­giös Aggres­si­ve­ren und der Anti­auf­klä­rung das Feld zu über­las­sen mit der Folge schlei­chen­den Abbaus von Grund­rech­ten, wie sie in nor­ma­ti­ver Form in unse­rer Ver­fas­sung, vor allem in den ersten 19 Arti­keln, fest­ge­legt sind. Die poli­ti­sche Lösung kann daher nur eine lai­zis­ti­sche Gesell­schafts­ord­nung sein, die eine strikte Tren­nung von Staat und Reli­gio­nen vor­sieht, in der die per­sön­li­che Welt­an­schau­ung eine wei­test­ge­hend pri­vate Ange­le­gen­heit im Rahmen staat­li­cher Gesetze zu blei­ben hat. In der poli­ti­schen Praxis gilt es dabei, Abstand zu halten einer­seits von jenen Kräf­ten, für die Kritik an einem zuge­wan­der­ten polit-reli­giö­sen System zuvör­derst aus frem­den­feind­li­chen Moti­ven erfolgt, und ande­rer­seits von jenen Ver­tre­tern aus hie­si­gen reli­giö­sen und poli­tisch links ori­en­tier­ten Krei­sen, die jede noch so berech­tigte Kritik an Idee und Praxis einer über­kom­me­nen Glau­bens­lehre ableh­nen, weil sie sich lang­fris­tig ganz eigene stra­te­gi­sche Vor­teile aus der Zusam­men­ar­beit mit Mit­glie­dern dieser Glau­bens­lehre versprechen.

Aber auch das soll trotz aller Beden­ken gegen unsere augen­blick­li­che Zuwan­de­rungs­po­li­tik gesagt werden: Es bleibt die Pflicht unse­rer huma­ni­tär ori­en­tier­ten Gesell­schaft, den in Not befind­li­chen Men­schen zu helfen. Aller­dings im Rahmen der Mög­lich­kei­ten, die unsere Gesell­schaft sinn­vol­ler­weise leis­ten kann, und zu den Bedin­gun­gen unse­rer Vor­stel­lun­gen von einer offe­nen und freien Gesell­schaft. Die Zah­len­ver­hält­nisse aller­dings sind ernüch­ternd. Europa zählt etwa 500 Mil­lio­nen Men­schen. Die Men­schen, die sich welt­weit in großer poli­ti­scher, wirt­schaft­li­cher und gesund­heit­li­cher Not­lage befin­den, zählen nach Mil­li­ar­den, und deren Zahl wächst schnel­ler als die der Euro­päer. Allein Afrika zum Bei­spiel wächst pro Jahr (!) um etwa 50 Mil­lio­nen (!) Men­schen, also in der Grö­ßen­ord­nung eines großen euro­päi­schen Landes. Selbst die SPD-Partei- und Frak­ti­ons­chefin Andrea Nahles ließ sich in diesen Tagen zu der für diese Partei bemer­kens­wer­ten, aber an sich abso­lut bana­len Erkennt­nis hin­rei­ßen: “Wir können nicht alle bei uns auf­neh­men”. “Wer halb Kal­kutta auf­nimmt, hilft nicht etwa Kal­kutta, son­dern wird selbst zu Kal­kutta”, meinte zu Recht einst der Jour­na­list Peter Scholl-Latour. Hilfe ist des­halb allen­falls vor Ort als poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che, bil­dungs­mä­ßige, medi­zi­ni­sche und finan­zi­elle Unter­stüt­zung sinnvoll.

Julian Nida-Rüme­lin, Pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie und poli­ti­sche Theo­rie, Mit­glied der SPD, hat über­zeu­gende Vor­schläge für eine plan­volle und gerechte Migra­ti­ons­po­li­tik unter­brei­tet, die sich deut­lich von der der­zeit prak­ti­zier­ten Poli­tik unter­schei­den.8 Dau­er­hafte, unzu­rei­chend kon­trol­lierte Zuwan­de­rung aus reli­giös domi­nier­ten, rechts­staat­lich unter­ent­wi­ckel­ten und viel­fach bil­dungs­mä­ßig weit unter unse­rem Stan­dard befind­li­chen Län­dern, wie sie der­zeit von dem kul­tur­re­la­ti­vis­ti­schen und mul­ti­kul­tu­ra­lis­ti­schen Flügel der Grünen und von der großen Mehr­heit der Links­par­tei unter­stützt wird, führt schon auf­grund der nicht zu inte­grie­ren­den Anzahl von Men­schen zwangs­läu­fig zu einem schlei­chen­den Unter­gang unse­res Modells eines säku­lar, demo­kra­tisch und rechts­staat­lich orga­ni­sier­ten Staates.

Ein kurzer Blick zur Seite: Ana­ly­siert man die über­wie­gend gelun­gene Inte­gra­tion der als “Boat­peo­ple” vor Jahren zu uns gekom­me­nen Viet­na­me­sen, dann wird man fest­stel­len, dass es ihre Anstren­gungs­be­reit­schaft war, die sie schnell die deut­sche Spra­che erler­nen ließ und ihr Inter­esse an Bil­dung, das ihnen den Zugang zum Arbeits­markt ermög­lichte. Vor allem stand ihnen keine mit­tel­al­ter­li­che Reli­gion im Wege. In Berlin zum Bei­spiel stel­len die Schü­ler mit viet­na­me­si­schen Wur­zeln seit Jahren die Abitu­ri­en­ten mit den besten Noten.

Ein Blick auf die wach­sen­den, über­wie­gend mus­li­misch gepräg­ten Bezirke von Paris oder Mar­seille, von Bir­ming­ham oder Rother­ham in Groß­bri­tan­nien, Molen­beek in Bel­gien oder Stock­holm in Schwe­den, nicht zuletzt in Berlin-Neu­kölln oder in Duis­burg-Marx­loh, dort, wo der Begriff Inte­gra­tion eher als Fremd­wort gilt, lässt nur bedingt den Opti­mis­mus zu, dass in zwan­zig oder drei­ßig Jahren die offene Gesell­schaft in Deutsch­land und Europa noch eine bestim­mende Rolle spie­len wird. Der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler Michel Hou­el­le­becq for­mu­liert es bereits dras­ti­scher und sehr pes­si­mis­tisch: Hinter die Auf­klä­rung könne man ein Kreuz setzen, sie sei ver­stor­ben. Noch hege ich aller­dings die Hoff­nung, dass zukünf­tig eine Migra­ti­ons­po­li­tik rea­li­siert wird, die das Ruder her­um­reißt und uns vor dem bewah­ren kann, wovon Moha­meds streng­gläu­bige Nach­fah­ren träumen.


  1. Karl R. Popper: Die offene Gesell­schaft und ihre Feinde, Band 1: Der Zauber Pla­tons. UTB für Wis­sen­schaft: Uni-Taschen­bü­cher Nr. 472. ↩︎
  2. NetzDG – Die Beschluss­fä­hig­keit des Bun­des­tags. Jura medial, 4.7.2017 https://jura-medial.de/2017/07/netzdg-die-beschlussfaehigkeit-des-bundestags/#more-161 ↩︎
  3. Neue Bla­mage für Maas – Wis­sen­schaft­li­cher Dienst: “Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz ver­fas­sungs­wid­rig!” Rechts­an­walt Joa­chim Niko­laus Stein­hö­fel, 2017.
    https://www.steinhoefel.com/2017/06/neue-blamage-fuer-maas-wissenschaftlicher-dienst-netzwerkdurchsetzungsgesetz-verfassungswidrig.html
    Isla­mis­ten werden in Schutz genom­men, aber Kri­ti­ker gesperrt. Die Welt, 3.11.2017. https://www.welt.de/politik/deutschland/article170307616/Islamisten-werden-in-Schutz-genommen-aber-Kritiker-gesperrt.html ↩︎
  4. Char­lie Hebdo – Sie werden täg­lich mit dem Tod bedroht. FAZ, aktua­li­siert am 6.1.2018.
    www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/drei-jahre-nach-dem-attentat-auf-charlie-hebdo-15373847.html?printPagedArticle=true#pageIndex0 ↩︎
  5. Ara­bi­sche Groß­fa­mi­lien in Berlin – Die Macht der Clans. Der Tages­spie­gel, 3.11.2016www.tagesspiegel.de/themen/reportage/arabische-grossfamilien-in-berlin-die-macht-der-clans/14763088-all.htmlAra­ber­clans in Berlin machen, was sie wollen. Die Welt, 3.3.2018https://www.welt.de/debatte/kommentare/article174164839/Kriminalitaet-Araberclans-in-Berlin-machen-was-sie-wollen.htmlAgie­ren in Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten – Sex-Gerüchte und Droh-Videos: Wie sich kri­mi­nelle Clans an der Poli­zei rächen. Focus, 6.3.2018www.focus.de/politik/deutschland/agieren-in-parallelgesellschaften-sex-geruechte-und-droh-videos-wie-sich-kriminelle-clans-an-der-polizei-raechenid8564173.html
  6. Kri­mi­na­li­tät – In Berlin ereig­nen sich sieben Mes­ser­at­ta­cken pro Tag. Ber­li­ner Mor­gen­post, 14.3.2018https://www.morgenpost.de/berlin/article213712279/In-Berlin-ereignen-sich-sieben-Messerattacken-pro-Tag.htmlAnmer­kung: Sicher­lich nicht alle Mes­ser­at­ta­cken werden von Zuwan­de­rern aus­ge­übt. Diese Form der Aus­ein­an­der­set­zung geht aller­dings wesent­lich auf Zuwan­de­rer aus Ost- und Süd­eu­ropa und ara­bi­schen und afri­ka­ni­schen Län­dern zurück.
  7. Ates kri­ti­siert Kir­chen wegen Islam-Ver­ständ­nis. evangelisch.de, 6.6.2018https://www.evangelisch.de/inhalte/150393/06–06-2018/ates-kritisiert-kirchen-wegen-islam-verstaendnis
  8. Julian Nida-Rüme­lin: Über Gren­zen denken – Eine Ethik der Migra­tion. Edi­tion Körber, Ham­burg 2017; 241 S. ↩︎