Dr. Bernd Oehmig: Phantastisches Buch

Auf das Buch bin ich durch eine Rezen­sion in der Zei­tung „Der Tages­spie­gel“ auf­merk­sam gewor­den und hatte mir davon erhofft, Argu­men­ta­ti­ons­hil­fen zu finden, die meine Ungläu­big­keit mit den oben genann­ten Ein­schrän­kun­gen bestä­ti­gen könn­ten. Diese Art von Lek­türe liegt nor­ma­ler­weise nicht in meinem Blick­feld und ich hatte bisher nur Daw­kins „Got­tes­wahn“ gele­sen. Dieser hatte ja erläu­tert, warum auch nicht­gläu­bige Men­schen „irgend­wie“ immer noch Zwei­fel haben können und dies u. a. mit der tra­di­tio­nel­len Erzie­hung erklärt. Wenn man krank war, hat die Mutter gesagt, daß man zum „lieben Gott“ beten müsse. Das blieb lange wirk­sam. Aus den Beob­ach­tun­gen der Wirk­lich­keit, wie Kriege, Folter, furcht­bare Unglü­cke, Kin­der­ster­ben, Ver­hun­gern usw. war schon klar gewor­den, daß dies mit Gött­lich­keit wenig zu tun haben kann. Die Ereig­nisse der letz­ten Jahre (von den Ver­bre­chen frü­he­rer Epo­chen ganz zu schwei­gen) wie Kin­des­miß­brauch in der Kirche und deren Ver­wei­ge­rungs­hal­tung hin­sicht­lich moder­ner Lebens­füh­rung, ihr Uni­ver­sal­an­spruch oder auch die teils kurio­sen Anspra­chen bei Beer­di­gun­gen taten ein Übri­ges. Öffent­li­che Auf­tritte der Bischöfe erin­nern an Auf­züge aus dem Mit­tel­al­ter. All dies hat aber nicht dazu geführt, sich mit den Dingen näher aus­ein­an­der­zu­set­zen. Wenn man sich mit der Mate­rie nicht näher befas­sen möchte, weil die per­sön­li­chen Inter­es­sen­ge­biete ganz andere sind, so bekommt man mit den Werk von Leh­nert eine Art Kom­pen­dium gelie­fert, das wie ein Pflas­ter auf die offene Denk­stelle „Reli­gion“ paßt. Durch seine umfang­rei­che Lite­ra­tur­re­cher­che und die vielen Zitate findet man das alte Wich­mann­sche Prin­zip wieder einmal bestä­tigt, daß jeder Zuwachs an Wissen neue Wis­sens­lü­cken auf­reißt. Da wurde erst einmal klar, wie­viel wei­tere kri­ti­sche Lite­ra­tur vor­han­den ist.

In dem Werk kann es dem suchen­den Leser darum gehen, Erklä­rungs­mo­delle dafür zu finden, warum es einen Gott geben bzw. nicht geben kann. Die Ant­wort auf diese Frage wird in dem Buch prak­tisch in unschein­ba­ren Klam­mern am Anfang und am Ende ein­ge­schlos­sen. So heißt es im Vor­wort („Warum dieses Buch“, S. 14): „Zwar kann auch Wis­sen­schaft nicht alles erklä­ren, aber Glaube erklärt gar nichts.“ Und gegen Ende („Mein Credo“, S. 456, 6. Auf­lage) resü­miert der Autor seine Bewer­tung von Kirche und Reli­gion: „Mit dem Abschluss dieses Kapi­tels habe ich auf­grund phi­lo­so­phi­scher, wis­sen­schaft­li­cher, his­to­ri­scher und ande­rer sach­li­cher Gründe für mich die feste und wohl kaum noch zu erschüt­ternde Über­zeu­gung gewon­nen, dass es sich um eine von Men­schen erdachte Lehre han­delt, deren Wahr­heits­ge­halt dem eines from­men Mär­chens ent­spricht.“ Zugleich wird in dem Satz noch einmal umris­sen, durch welche Gebiete er Schnei­sen gelegt hat, um aus viel­fäl­ti­ger Sicht das Chris­ten­tum zu betrach­ten. Dieser Weg besticht durch umfas­sende Durch­fors­tung moder­ner Wis­sen­schaft (und älte­rer Autoren) zur Klä­rung der Frage, inwie­weit Dinge zum Ver­ständ­nis der Welt tat­säch­lich auf einen Gott ver­wei­sen. Belegt wird die Fehl­an­zeige durch ver­ständ­li­che und nach­voll­zieh­bare Erläu­te­run­gen des Ver­fas­sers sowie die Nen­nung einer Viel­zahl an Beleg­stel­len, die teils die Stand­punkte treff­si­cher ver­deut­li­chen, teils so erschüt­ternd ent­lar­vend sind, daß man sich gewis­ser­ma­ßen noch nach­träg­lich betro­gen fühlt. Leh­nert geht all den Gedan­ken­gän­gen nach, die im Laufe der Zeit sicher bei vielen Men­schen im eige­nen Kopf ent­stan­den sind, aber letzt­lich abge­bro­chen wurden. Er leuch­tet sie aus und zemen­tiert die Zwei­fel. Eine beson­dere Lese­freude berei­tet eine Art Erzähl­ton, der dann wieder in harte Fakten mündet, so daß das Buch „span­nend wie ein Krimi“ erscheint.

Ich habe auch diverse Rezen­sio­nen bei Amazon zu Leh­nerts Buch gele­sen, ins­be­son­dere die nega­ti­ven. Da fällt auf, daß ihm Details zum Vor­wurf gemacht werden, die darauf hin­wei­sen, daß er sich nicht wis­sen­schaft­lich mit der Mate­rie aus­ein­an­der­ge­setzt hätte. Nun, wenn er das getan hätte, wäre es nicht das vor­lie­gende Buch gewe­sen, weil man sich wis­sen­schaft­lich Stück für Stück mit ein­zel­nen Aus­sa­gen befas­sen müßte, mit kleins­ten Teil­ge­bie­ten in Form wis­sen­schaft­li­cher Auf­sätze. Dazu paßt auch, daß er keine Gegen­stim­men hätte zu Wort kommen lassen. Warum sollte er in einem sol­chen Werk, bei dem es um seine Sicht­weise geht, seine Wider­sa­cher behan­deln – das wäre ein ganz ande­res Buch gewor­den. Einer der Kri­ti­ker schreibt: „Wer die Bibel mit stau­nen­dem und offe­nem Herzen liest, spürt, dass sie VON GOTT ist, da gibt es nicht die gerings­ten Zwei­fel! Und genau – und nur – des­halb ist die Bibel das berühm­teste Buch der Welt!“ Da fehlen einem die Worte. Aber so ist das heute: Wer ein Buch über den Hund schreibt, findet genü­gend Kri­ti­ker, die bemän­geln, daß über die Katze leider gar nichts ent­hal­ten ist. Leh­nert hat ledig­lich das getan, was er im Buch­ti­tel ver­spro­chen hat. Er hat gesagt, warum er kein Christ sein will. Und das ist ihm gelungen.

Hinter all dem steht die Frage nach dem Anfang der Welt und dem Sinn des Lebens der Men­schen auf der Erde. Für Letz­te­res hat Leh­nert eine Ant­wort gefun­den, den Sinn schöpft jeder selbst. Alles andere, etwa das Leben nach dem Tod, erscheint mir wie eine dreiste Über­hö­hung oder der Ver­such, der Angst vor dem Tod zu begeg­nen. Dabei werden wir wie alle Orga­nis­men dieser Welt mine­ra­li­siert. Inso­fern ist dem Autor zuzu­stim­men, wenn er das dies­sei­tige Leben bejaht. Rich­tig erscheint mir aber auch, daß Gläu­bige und Nicht-Gläu­bige am Ende keinen Zugang zuein­an­der finden. Durch ein sol­ches Buch fällt nicht die Ent­schei­dung für die eine oder andere Seite, die ist längst im Vor­feld getrof­fen. Für mich war die Lek­türe inso­fern eine Bekräf­ti­gung meiner Sichtweise.

Rezen­sion zu dem Buch “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung”.