Auf das Buch bin ich durch eine Rezension in der Zeitung „Der Tagesspiegel“ aufmerksam geworden und hatte mir davon erhofft, Argumentationshilfen zu finden, die meine Ungläubigkeit mit den oben genannten Einschränkungen bestätigen könnten. Diese Art von Lektüre liegt normalerweise nicht in meinem Blickfeld und ich hatte bisher nur Dawkins „Gotteswahn“ gelesen. Dieser hatte ja erläutert, warum auch nichtgläubige Menschen „irgendwie“ immer noch Zweifel haben können und dies u. a. mit der traditionellen Erziehung erklärt. Wenn man krank war, hat die Mutter gesagt, daß man zum „lieben Gott“ beten müsse. Das blieb lange wirksam. Aus den Beobachtungen der Wirklichkeit, wie Kriege, Folter, furchtbare Unglücke, Kindersterben, Verhungern usw. war schon klar geworden, daß dies mit Göttlichkeit wenig zu tun haben kann. Die Ereignisse der letzten Jahre (von den Verbrechen früherer Epochen ganz zu schweigen) wie Kindesmißbrauch in der Kirche und deren Verweigerungshaltung hinsichtlich moderner Lebensführung, ihr Universalanspruch oder auch die teils kuriosen Ansprachen bei Beerdigungen taten ein Übriges. Öffentliche Auftritte der Bischöfe erinnern an Aufzüge aus dem Mittelalter. All dies hat aber nicht dazu geführt, sich mit den Dingen näher auseinanderzusetzen. Wenn man sich mit der Materie nicht näher befassen möchte, weil die persönlichen Interessengebiete ganz andere sind, so bekommt man mit den Werk von Lehnert eine Art Kompendium geliefert, das wie ein Pflaster auf die offene Denkstelle „Religion“ paßt. Durch seine umfangreiche Literaturrecherche und die vielen Zitate findet man das alte Wichmannsche Prinzip wieder einmal bestätigt, daß jeder Zuwachs an Wissen neue Wissenslücken aufreißt. Da wurde erst einmal klar, wieviel weitere kritische Literatur vorhanden ist.
In dem Werk kann es dem suchenden Leser darum gehen, Erklärungsmodelle dafür zu finden, warum es einen Gott geben bzw. nicht geben kann. Die Antwort auf diese Frage wird in dem Buch praktisch in unscheinbaren Klammern am Anfang und am Ende eingeschlossen. So heißt es im Vorwort („Warum dieses Buch“, S. 14): „Zwar kann auch Wissenschaft nicht alles erklären, aber Glaube erklärt gar nichts.“ Und gegen Ende („Mein Credo“, S. 456, 6. Auflage) resümiert der Autor seine Bewertung von Kirche und Religion: „Mit dem Abschluss dieses Kapitels habe ich aufgrund philosophischer, wissenschaftlicher, historischer und anderer sachlicher Gründe für mich die feste und wohl kaum noch zu erschütternde Überzeugung gewonnen, dass es sich um eine von Menschen erdachte Lehre handelt, deren Wahrheitsgehalt dem eines frommen Märchens entspricht.“ Zugleich wird in dem Satz noch einmal umrissen, durch welche Gebiete er Schneisen gelegt hat, um aus vielfältiger Sicht das Christentum zu betrachten. Dieser Weg besticht durch umfassende Durchforstung moderner Wissenschaft (und älterer Autoren) zur Klärung der Frage, inwieweit Dinge zum Verständnis der Welt tatsächlich auf einen Gott verweisen. Belegt wird die Fehlanzeige durch verständliche und nachvollziehbare Erläuterungen des Verfassers sowie die Nennung einer Vielzahl an Belegstellen, die teils die Standpunkte treffsicher verdeutlichen, teils so erschütternd entlarvend sind, daß man sich gewissermaßen noch nachträglich betrogen fühlt. Lehnert geht all den Gedankengängen nach, die im Laufe der Zeit sicher bei vielen Menschen im eigenen Kopf entstanden sind, aber letztlich abgebrochen wurden. Er leuchtet sie aus und zementiert die Zweifel. Eine besondere Lesefreude bereitet eine Art Erzählton, der dann wieder in harte Fakten mündet, so daß das Buch „spannend wie ein Krimi“ erscheint.
Ich habe auch diverse Rezensionen bei Amazon zu Lehnerts Buch gelesen, insbesondere die negativen. Da fällt auf, daß ihm Details zum Vorwurf gemacht werden, die darauf hinweisen, daß er sich nicht wissenschaftlich mit der Materie auseinandergesetzt hätte. Nun, wenn er das getan hätte, wäre es nicht das vorliegende Buch gewesen, weil man sich wissenschaftlich Stück für Stück mit einzelnen Aussagen befassen müßte, mit kleinsten Teilgebieten in Form wissenschaftlicher Aufsätze. Dazu paßt auch, daß er keine Gegenstimmen hätte zu Wort kommen lassen. Warum sollte er in einem solchen Werk, bei dem es um seine Sichtweise geht, seine Widersacher behandeln – das wäre ein ganz anderes Buch geworden. Einer der Kritiker schreibt: „Wer die Bibel mit staunendem und offenem Herzen liest, spürt, dass sie VON GOTT ist, da gibt es nicht die geringsten Zweifel! Und genau – und nur – deshalb ist die Bibel das berühmteste Buch der Welt!“ Da fehlen einem die Worte. Aber so ist das heute: Wer ein Buch über den Hund schreibt, findet genügend Kritiker, die bemängeln, daß über die Katze leider gar nichts enthalten ist. Lehnert hat lediglich das getan, was er im Buchtitel versprochen hat. Er hat gesagt, warum er kein Christ sein will. Und das ist ihm gelungen.
Hinter all dem steht die Frage nach dem Anfang der Welt und dem Sinn des Lebens der Menschen auf der Erde. Für Letzteres hat Lehnert eine Antwort gefunden, den Sinn schöpft jeder selbst. Alles andere, etwa das Leben nach dem Tod, erscheint mir wie eine dreiste Überhöhung oder der Versuch, der Angst vor dem Tod zu begegnen. Dabei werden wir wie alle Organismen dieser Welt mineralisiert. Insofern ist dem Autor zuzustimmen, wenn er das diesseitige Leben bejaht. Richtig erscheint mir aber auch, daß Gläubige und Nicht-Gläubige am Ende keinen Zugang zueinander finden. Durch ein solches Buch fällt nicht die Entscheidung für die eine oder andere Seite, die ist längst im Vorfeld getroffen. Für mich war die Lektüre insofern eine Bekräftigung meiner Sichtweise.
Rezension zu dem Buch “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung”.