Eberhard Kox: Anregung für Unentschlossene (26.2.15)
So ein unaufgeregtes und zugleich spannendes Buch lesend in der Hand zu halten ist für alle diejenigen, die sich ernsthaft, kritisch und zweifelnd mit ihren bisherigen weltanschaulichen und religiösen Auffassungen auseinander setzen wollen, ein Glücksfall.
Das Fundament, auf dem Uwe Lehnert in den ersten Kapiteln seines Buches seine später gereifte Überzeugung gegen ein „bronzezeitliches“ Christentum aufbaut, ist die Darstellung der Erkenntnisse moderner Wissenschaftszweige, wozu vor allem die evolutionäre Erkenntnistheorie, die Relativitäts- und Quantentheorie, sowie die Neurobiologie gehören.
Ein eigenes Kapitel befasst sich mit dem Problem der Willensfreiheit, deren Bejahung ja grundlegend ist für den religiösen Menschen, um sich frei zwischen Gut oder Böse, also zwischen Himmel oder Hölle, für Gott oder Teufel entscheiden zu können. Dass es für Uwe Lehnert aufgrund neuerer Erkenntnisse der Neurobiologie Willensfreiheit in dem üblich gemeinten Sinne nicht gibt, ist nicht verwunderlich.
Der „erschütternden“ Bilanz von 2000 Jahren Christentum – nirgends so ausführlich und genau belegt wie von Karl-Heinz Deschner – ist ein weiteres Kapitel gewidmet. Im Kern enthält es Lehnerts sich allmählich entwickelnde und konsequente Ablehnung des Christentums schon aufgrund seiner Geschichte. Mich persönlich – als ehemaliger evangelischer Christ – hat vor allem die Erklärung einiger evangelischer Landesbischöfe und Landeskirchenpräsidenten vom 17.12.1941, in der sie sich voll auf die Seite der Nazis und ihren Kampf gegen die Juden schlagen, betroffen gemacht; hatte ich doch immer geglaubt, dass die protestantische Kirche ihrem Namen gerechter geworden wäre.
Aus der sich im allmählichen Prozess entwickelnden Ablehnung religiöser Mythen ist auch Lehnerts kritisches Aufmerksammachen auf die heutige Diskussion bzgl. des Islams zu verstehen. Und zu Recht weist er auf die immer noch viel zu starke Verquickung von Politik und Medien mit religiösen Institutionen hin, wobei er vor allem auch die lasche Haltung dieser Institutionen gegenüber des zunehmenden Einflussnehmenwollens des politischen Islams beklagt, indem sie diesen als „befreundete“ Religion betrachteten, sozusagen als Bollwerk gegen das Säkulare, den Humanismus und die Atheisten.
Uwe Lehnert beschreibt all dies ohne Hass oder Verbitterung. Im Gegenteil: Immer wieder betont er ausdrücklich seine Anerkennung religiöser Menschen, die sich in den sozialen Bereichen engagieren und ausgezeichnete Arbeit im seelsorgerischen Bereich machen. Dass dies aber natürlich kein Privileg religiöser Menschen ist, sollte klar sein.
Die eigentliche „Auseinandersetzung“ mit der Religion im Allgemeinen und des Christentums im Besonderen nimmt sodann den größten Teil des Buches ein. Die Vergeblichkeit der Gottesbeweise, das immerwährende Thema der Theodizee, die sogenannten „christlichen Grundwerte“ und die Frage nach einer möglichen moralischen Haltung außerhalb von Religion sind Themenschwerpunkte. Mit einer Fülle von Bibelzitaten, die die für heutige Verhältnisse unglaubliche Nichtbeachtung von Menschenrechten belegen, beschreibt Lehnert seine eigene, sehr persönliche und endgültige Verabschiedung vom Christentum, die bereits mit den ersten kritischen Fragen nach seiner Konfirmation begannen. Besonders wohltuend beim Lesen ist, dass all dies nicht in Form eines theoretisch-theologischen Diskurses geschrieben ist. Gerade weil es so persönlich ist, spricht es einen direkt an und macht die Spannung, die einen dazu bringt, weiter zu lesen, aus. Es sind einfach die Fragen, die sich jeder normale, kritische und zweifelnde Mensch während seines Lebens stellt, wenn er sich der Vernunft und einer gewissen „intellektuellen Redlichkeit“ verpflichtet fühlt. Und oft begegnen einem Gedanken oder Personen, mit denen man sich im Laufe seines Lebens auch selbst befasst hat, sodass am Ende nur der Schluss bleibt, auch „kein Christ“ mehr sein zu wollen und daraus die Konsequenzen zieht.
Der Klarheit und Verständlichkeit seiner Sprache kommt auch sicher Lehnerts berufliche Ausbildung und Entwicklung zugute, die weniger geisteswissenschaftlich denn naturwissenschaftlich geprägt ist: Lehnert hat zunächst Nachrichtentechnik und Elektronik studiert und ist Doktor der Ingenieurswissenschaften. Ein Studium in Erziehungswissenschaften kam erst später hinzu.
Eine positive Alternative zum christlichen Menschenbild sieht Lehnert in einem „neuen“ humanistischen Lebenskonzept, dessen Grundlage die rationale, logische und systematische Denkweise der Naturwissenschaften ist und in einer vernunftbasierten Ethik, die den Blick für den Mitmenschen nicht außer Acht lässt.
Seine diesbezügliche Position stellt Lehnert ausführlicher anhand der Präimplantationsdiagnostik und der Selbstbestimmtheit auch im Tode dar.
Abschließend weist Lehnert auf einige Organisationen wie den Humanistischen Verband Deutschlands (HVD), den Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), die Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) und die Freidenkervereinigung der Schweiz (FVS) hin, plädiert noch einmal für eine strikte Trennung von Staat und Kirche und umreißt kurz die Vision einer möglichen „Humanistischen Partei“.
Der Begriff der „Spiritualität“ tritt ab und zu, aber nur kurz behandelt auf, der Begriff „Mystik“ tritt überhaupt nicht auf. Wer also meint, er müsste seinem Leben doch noch etwas mehr „Tiefe“ geben, der sollte sich mit der Sichtweise Thomas Metzingers befassen, der ja die Spiritualität im Gegensatz zur Religion sieht oder auch unter dem Bereich „säkulare Mystik“ selbst weiter forschen.
Fazit:
Wenn Sie (sinngemäß zitiert nach Uwe Lehnert) „Widersprüche zwischen Glauben und Vernunft, zwischen Wissenschaft und Theologie, zwischen religiösen Behauptungen und erfahrener Lebenswirklichkeit“ erkennen, wenn Sie sich nicht gegenüber „Fakten zur Geschichte und Lehre des Christentums“ verschließen wollen, wenn Sie sich nicht „ autoritätsorientierter Deutung“ und der „Sehnsucht nach Führung und verbindlichen Lebensregeln“ fügen wollen, wenn sie keine Angst (mehr) haben wollen vor „göttlichem Zorn und Verdammnis“, wenn Sie sich nicht mehr „entgegen Ihrer Überzeugung dem gesellschaftlichen und beruflichen Druck“ anpassen wollen und wenn Sie sich der „Beharrungskräfte einer frühkindlichen Indoktrination“ entziehen wollen, dann ist dieses Buch ein „Muss“ für Sie und: Die dahinter stehende, sich allmählich entwickelnde naturalistisch-humanistische Auffassung kann für Sie – wie auch bei Uwe Lehnert – eine beglückende und erfüllende Alternative werden!
Eberhard Kox: Warum es sich lohnt, dieses Buch immer wieder in die Hand zu nehmen. (21.11.18)
Da die Neuauflage des Buches „Warum ich kein Christ sein will“ von Uwe Lehnert im Großen und Ganzen der 6. Auflage entspricht, ist es nicht unbedingt nötig, noch einmal eine ausführliche Rezension zu schreiben. Wem aber eine solche Rezension wichtig ist, der hat die Möglichkeit, die vielen, bereits vorhandenen und zumeist sehr positiven Rezensionen der 5. und 6. Auflage bei den entsprechenden Buchvorstellungen hier auf Amazon nachzulesen.
Bei einer ersten Durchsicht ist zu sehen, dass Aufbau und Kapitel-überschriften gleich geblieben sind. Beim Lesen aber wird deutlich, dass im Text eine Reihe von Streichungen, aktuelle Ergänzungen und gedankliche Erweiterungen vorgenommen wurden. Neben einer ausführlicheren Darstellung der humanistischen Alternativen im 7. Kapitel ist vor allem der aktuelle, hinzugefügte Teil „Gesellschaftspolitischer Exkurs: Religionskritik ist wieder lebensgefährlich geworden“ von besonderer Bedeutung.
Bis jetzt, so Lehnert, sei es noch möglich, sich weltanschaulich und religionskritisch äußern zu können. Er zeigt aber Tendenzen auf, die die freie Meinungsäußerung zunehmend einschränken. Es erfordere inzwischen schon viel Mut, Bedrohungen von Grund- und Menschenrechten entgegenzutreten, da man zu schnell in eine rechte Ecke gestellt oder islamophober Einstellung bezichtigt werde. Lehnert wehrt sich gegen den Vorwurf, dass sachlich vorgetragene Islamkritik ausländerfeindlich sei, sieht die Gefahr einer neuen religiösen Bedrohung durch den politisch agierenden Islam auf uns zukommen und kritisiert das Sympathisantentum der christlichen Kirchen mit einer „ja nur anderen“ Religion. Eine uneingeschränkte Religionsfreiheit bei schleichendem Abbau von Grundrechten und Grundprinzipien einer freien und offenen Gesellschaft könne es nicht geben. Die politische Lösung könne nur eine Gesellschaftsordnung sein, die eine strikte Trennung von Staat und Religionen vorsehe.
Bezogen auf das ganze Buch gilt auch heute noch mein schon geäußertes Fazit: Wenn Sie Widersprüche zwischen Glauben und Vernunft, zwischen Wissenschaft und Theologie, zwischen religiösen Behauptungen und erfahrener Lebenswirklichkeit erkennen, wenn Sie sich nicht autoritätsorientierter Deutung und der Sehnsucht nach Führung und verbindlichen Lebensregeln fügen wollen, wenn Sie keine Angst (mehr) haben wollen vor göttlichem Zorn und Verdammnis, wenn Sie sich nicht mehr entgegen Ihrer Überzeugung dem gesellschaftlichen und beruflichen Druck anpassen wollen, und wenn Sie sich der Beharrungskräfte einer frühkindlichen Indoktrination entziehen wollen, dann ist dieses Buch genau das Richtige für Sie! Die dahinter stehende und sich beim Lesen einstellende naturalistisch-humanistische Auffassung kann auch für Sie eine beglückende und erfüllende Alternative sein.
Es ist nicht erforderlich, Lehnerts Buch von Kapitel zu Kapitel nacheinander zu lesen. Obwohl natürlich alles in einem größeren Zusammenhang steht, ist es möglich, einzelne Kapitel, die einem zunächst besonders wichtig erscheinen, herauszugreifen und getrennt zu lesen. Ausdrücklich weist Uwe Lehnert darauf hin, dass sein Buch ein „Lesebuch“ sei und erst einmal zu einem neugierigen Blättern einlade. Und bei so interessanten Themen wie – willkürlich herausgegriffen – „evolutionäre Erkenntnistheorie“, „Raum und Zeit“, „Quantentheorie“, „Problem der Willensfreiheit“, „Theodizee“, „Entstehung von Moral“, „Humanismus“ und „Staat und Religion“ kann man sich wohl ausmalen, dass es sich lohnt, Lehnerts Buch immer wieder in die Hand zu nehmen.
Rezension zu dem Buch “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung”.