Es ist diese „intellektuelle Redlichkeit“, die Uwe Lehnert einfordert und die er in seinem Buch dem Leser vorlebt, die ich während der Lektüre am meisten geschätzt habe. Selbst aus evangelikalen Kreisen stammend kann ich seit einigen Jahren nicht genug Bücher in Sachen Religionskritik lesen – von Ranke-Heinemann über Deschner bis Dawkins, Bergmeier, Kubitza und Lüdemann, Buggle, uvm … und jetzt Uwe Lehnert.
Obwohl ich mit einigen Fakten bereits vertraut bin, hat mir Uwe Lehnerts Buch viel gezeigt, gerade im ersten, wissenschaftlichen Teil über Erkenntnistheorie, Zeit & Raum und den unschätzbaren Wert der Wissenschaft. So ermutigt Uwe Lehnert die Menschen, ihren eigenen Wahrnehmungen und Erkenntnissen zu vertrauen: sie liefern „nicht völlig falsche Ergebnisse“, da sie sich „offensichtlich im Prozess der Evolution bewährt haben“. Obwohl der Mensch im Vergleich zu dem Raum, der ihn umgibt, verschwindend klein ist und den äußeren Randbereich nicht mehr „begreifen“ kann, und obwohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse ergebnisoffen sind und eines Tages durch neue ergänzt oder als nicht mehr „wahr“ offen gelegt werden können, ist das jetzige Wissen deshalb nicht „falsch“.
Lehnert setzt den Argumenten der Gläubigen – wer „Gott“ nicht wahrnehme, verschließe sich mutwillig einer höheren (logischen) Erkenntnis, oder die Wissenschaft sei lediglich eine Anhäufung von Vermutungen und könne keinerlei Aussage zu eine möglichen Existenz eines Schöpfers machen – auf sehr gut erklärte und logische Weise die erhobene Hand der Vernunft entgegen – ohne dabei mit dem Zeigefinger zu wedeln.
Der Abschnitt „Naturwissenschaft, Religion und menschliches Selbstverständnis“ behandelt die Entwicklung der menschlichen Sinnesorgane und des Nervensystems sowie das schwierige und bisher noch nicht völlig „verstandene“ Verhältnis von „Geist zu Gehirn“ – eine Fundgrube von erstaunlichen und ernüchternden Fakten. Der Mensch, lediglich ein komplexes Gebilde ohne Seele? Obwohl es erschütternd sein mag, können wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ignorieren, so Lehnert, denn wir nehmen ihre Vorteile tagtäglich in Anspruch. Er geht der komplexen Frage nach der „Willensfreiheit“ nach, von den Überlegungen der Philosophie bis zu den Erkenntnissen der Neurobiologie: hier herrscht die Erkenntnis, dass der menschliche Wille von „unbewusst handelnden Instanzen vorbereitet“ wird. Anschließend beschäftigt sich Lehnert mit den moralischen und theologischen Konsequenzen und den Aussagen der Philosophie zum Thema „Schuld“ sowie mit der Frage nach einer „Moral ohne Gott“.
Der Autor verlässt seinen ruhigen und dennoch eindringlichen Ton nicht, selbst wenn er über die Moral der „Vertreter Gottes auf Erden“ spricht und die mannigfachen Absurditäten der Glaubenswelt entlarvt. Keine Selbstverständlichkeit. Die fehlende Polemik, sei sie noch so verständlich, wenn es um Glaubensdinge geht, ist bewundernswert – schon allein deshalb ist das Buch unbedingt zu empfehlen.
Uwe Lehnert Abschied vom Christentum ist ein gründliches, wissenschaftlich fundiertes, und persönlich ehrliches Buch. Es enthält so viele Fakten, dass es sich lohnt, es mehrmals zu lesen. Zweifler, Glaubensschwankende, Neugierige und Einsteiger in die Religionskritik sollten dies gründlich tun. Überzeugte Christen ebenso. Und bereits mit religionskritischen Büchern Vertraute auch.
Rezension zu dem Buch “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu einer naturalistisch-humanistischen Weltanschauung”.