Martin Praska: Dies ist ein ‘gefährliches’ Buch. Im besten Sinn

Noch vor einem halben Jahr­hun­dert wäre es auf dem Index Librorum Pro­hi­bi­torum des Vati­kan gelan­det — in bester Gesell­schaft neben den Werken von Balzac, Heine, Dide­rot, Kant, Darwin oder Sartre. Inhalte, die sich mit der Glau­bens- und Sit­ten­lehre der katho­li­schen Kirche nicht ver­ein­ba­ren ließen. („Mein Kampf“ von Adolf Hitler war übri­gens nicht dar­un­ter.) Die Kirche hat es auf­ge­ge­ben, Bücher zu ver­bie­ten, wohl auch, weil sie mit dieser ver­dienst­vol­len Tätig­keit heute kaum nach­kom­men würde. Denn die Liste der reli­gi­ons­kri­ti­schen Schrif­ten ist lang gewor­den. „Wer sich über das Chris­ten­tum nicht empört, kennt es nicht“, schreibt der frisch geba­ckene Doktor der Theo­lo­gie, Joa­chim Kahl, 1968, ein Jahr nach dem Ende des Index, in seinem Klas­si­ker „Das Elend des Chris­ten­tums“. Und tat­säch­lich ist auch meine Empö­rung gewach­sen, je mehr ich mich mit der Reli­gion befasst habe. Es ist ein gera­dezu „hei­li­ger Zorn“, den auch Uwe Leh­nert zu wecken weiß. Gerade weil er dabei ganz unauf­ge­regt, nüch­tern und sach­lich die ent­spre­chen­den Ankla­ge­punkte zusam­men­trägt: Theo­lo­gi­sche Wider­sprü­che, intel­lek­tu­elle Unred­lich­kei­ten, mensch­li­cher Grö­ßen­wahn und him­mel­schrei­ende ethi­sche Defi­zite, die dem gewohn­ten sen­ti­men­ta­len Nächs­ten­liebe-Geplap­per Hohn spre­chen. Eine span­nen­dere Lek­türe für einen christ­lich sozia­li­sier­ten Men­schen, der nichts­des­to­trotz seinen Ver­stand noch zu gebrau­chen weiß, gibt es nicht.

Auch Leh­nerts Schrift ist mitt­ler­weile in der bereits 6. erwei­ter­ten und aktua­li­sier­ten Auf­lage zu einem Klas­si­ker gewor­den. Wohl auch des­we­gen, weil die klare unmiss­ver­ständ­li­che Spra­che und die Stich­hal­tig­keit der Argu­men­ta­tion kaum zu schla­gen sind. Hier finden die Zweif­ler wieder festen Boden auf dem Grund einer natu­ra­lis­ti­schen Welt­an­schau­ung. Vor den „wun­der­ba­ren“ Erkennt­nis­sen der Wis­sen­schaft und mit dem Trost eines „evo­lu­tio­nä­ren Huma­nis­mus“ (Huxley, Schmidt-Salomon).

Die „festen“ Gläu­bi­gen indes werden in Angst vor der Des­il­lu­sio­nie­rung dieses Buch meiden wie der Teufel das Weih­was­ser. Ange­sichts des am wei­tes­ten ver­brei­te­ten Aber­glau­bens der Welt, näm­lich dem Chris­ten­tum, fürchte ich, Inge­borg Bach­mann hat sich geirrt, als sie meinte, die Wahr­heit sei den Men­schen zumutbar.

So gese­hen, ein Buch nur für Mutige, die der ein­lul­len­den Folk­lore zuwi­der und dem Jesus-liebt-dich-Kitsch zum Trotz vor den Gefah­ren der Reli­gion nicht die Augen ver­schlie­ßen. Denn „manch­mal glaube ich, die Welt wäre eine bes­sere ohne Reli­gion“, sagt der Dalai Lama. Ich glaube das nicht nur manch­mal. Ich habe mich davon über­zeu­gen lassen. Von muti­gen Leuten wie Uwe Leh­nert. Und ich wün­sche seinem Buch min­des­tens noch einmal 6 wei­tere Auflagen.

Rezen­sion zu dem Buch “Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung”.