Warum ich nicht glauben kann – Folge 1: Bemerkenswerte Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten

  

Kom­men wir zur ersten Merk­würdigkeit, die einem kri­tisch nach­denk­enden Men­schen auf­fall­en kann und erste Zweifel an Reli­gion und Gottes­glauben aus­lösen mag.

Reli­gion­szuge­hörigkeit auf­grund des Geburtslandes

Eines Tages kam mein Sohn aus der Schule und berichtete, dass in sein­er Klasse Jun­gen und Mäd­chen sind, die ganz unter­schiedlichen Reli­gio­nen anhän­gen. Ein Teil war evan­ge­lisch. Eine Schü­lerin war katholisch, sie kam aus Bay­ern. Mehrere waren Mus­lime, sie waren aus der Türkei gekom­men. Nicht wenige Schüler waren – wie mein Sohn – in keinem Glaubens­beken­nt­nis erzo­gen wor­den. In anderen Klassen gäbe es vielle­icht auch Schüler jüdis­chen Glaubens.

Was mir damals plöt­zlich bewusst wurde – und darauf möchte ich hin­aus – dass offen­bar die Weltan­schau­ung der Eltern bzw. das Geburt­s­land maßgebend sind, welchen Glauben bzw. weltan­schauliche Auf­fas­sung wir selb­st – zunächst jeden­falls – vertreten. Es ist also keine eigene Entschei­dung, die meinen Glauben oder Nicht­glauben begrün­det. Meine Zuge­hörigkeit zu ein­er Reli­gion oder Weltan­schau­ung wurde fest­gelegt durch mein Geburt­s­land und durch meine Eltern. Ich werde, ohne gefragt zu wer­den, in eine Reli­gion oder Weltan­schau­ung hineinge­boren und »hinein­er­zo­gen«.

Und noch etwas wird einem bei dieser Gele­gen­heit bewusst: Jed­er Glaube, jede Reli­gion ver­tritt die Überzeu­gung, die einzig richtige und einzig wahre Weltan­schau­ung zu sein.

Wenn nun jed­er Glaube von sich behauptet, die Wahrheit zu vertreten, ergibt sich ein ein­fach­es logis­ches Prob­lem: Nur eine Reli­gion kann Recht haben. Vielle­icht aber auch keine von allen.

Erst recht tauchen Zweifel auf, wenn man sich die Ker­naus­sagen der ver­schiede­nen Reli­gio­nen anschaut und miteinan­der ver­gle­icht. Bekan­ntlich sind sie untere­inan­der so gut wie über­haupt nicht miteinan­der verträglich. Sie bekämpfen sich in der Regel sog­ar. Sollte das gottge­wollt sein? Jeden­falls scheint er – sollte er existieren – das seit Jahrtausenden stat­tfind­ende gegen­seit­ige Abschlacht­en nicht zu ver­hin­dern, vielle­icht nur mit Inter­esse zu beobachten.

Schon mit solchen ein­fachen Plau­si­bil­ität­süber­legun­gen müssten eigentlich erste Zweifel an der Richtigkeit des eige­nen, aber auch des Glaubens der anderen auf­tauchen. Auch die Zufäl­ligkeit der Zuge­hörigkeit zu ein­er bes­timmten Reli­gion oder Weltan­schau­ung müsste einem bei diesen Über­legun­gen bewusst wer­den. Und der Glaube an die Bedeu­tung Gottes, gar an seine Exis­tenz, dürfte bei solchen Über­legun­gen auch nicht ger­ade gestärkt werden.

Kein glaubenser­fülltes Beten in aus­sicht­slosen Fällen

Chris­ten, über­haupt Gottgläu­bige, glauben an die Kraft des Gebetes. Sie glauben, dass Gott sie erhört und sie beispiel­sweise von ein­er tück­ischen Krankheit heilen oder den Ver­lauf ein­er schw­eren Oper­a­tion gün­stig bee­in­flussen kann.

Nun wird fast alles, was sich Men­schen erhof­fen kön­nen, Gott im Gebet vor­ge­tra­gen. Allerd­ings betet man offen­sichtlich nur in jenen Fällen, bei denen das Erfle­hte, das sehn­lichst Erbetene, nach aller Lebenser­fahrung möglich erscheint: Zum Beispiel die Heilung ein­er Lun­genentzün­dung, die Geburt eines gesun­den Kindes oder etwa die Rück­kehr des geliebten, aber davon­ge­laufe­nen Fre­unds oder Fre­undin. Oder dass es endlich reg­net und die Ernte gut ausfällt.

Aber nun kommt die entschei­dende Ein­schränkung: Das Nachwach­sen eines infolge ein­er Krankheit amputierten Beines oder das Nachwach­sen eines durch Unfall ver­lore­nen Auges oder gar das Wieder­erwachen eines ver­stor­be­nen Kindes wird offen­bar nicht durch ein Gebet erhofft – trotz der Allmächtigkeit, die man Gott attestiert.

Warum nicht? Nun, zu offenkundig erscheint hier nach aller Lebenser­fahrung die Aus­sicht­slosigkeit eines Gebets. Aus Wall­fahrtsstät­ten wie dem franzö­sis­chen Lour­des ist von solchen Gebeten oder gar Heilun­gen auch noch nie berichtet wor­den. Man geht also stillschweigend davon aus, dass die Reich­weite eines Gebets eingeschränkt ist. Im Reli­gions- und Kon­fir­man­de­nun­ter­richt habe ich nie davon gehört.

Nach Erd­beben oder Tsunamis betet Papst Franziskus regelmäßig für die Opfer. Warum betet er eigentlich nicht vorher und bit­tet Gott darum, dass zum Beispiel völ­lig unschuldige Kinder erst gar nicht zu bekla­gen­den Opfern wer­den, für die er beten müsste?

Meine Frage: Warum traut man dem allmächti­gen Gott zu, ein Uni­ver­sum zu schaf­fen? Ein amputiertes Bein nachwach­sen zu lassen, traut man ihm nicht zu?

Tausende von Göt­tern bish­er verehrt und wieder vergessen

Reli­gion­swis­senschaftler haben mal nachgezählt und sind auf Zahlen zwis­chen 3000 und 5000 Göt­tern gekom­men, die im Laufe der Men­schheits­geschichte, oft mit größter Inbrun­st, verehrt wor­den sind. Zu 99 Prozent sind sie inzwis­chen in Vergessen­heit ger­at­en, jeden­falls wer­den sie nicht mehr verehrt und angebetet.

Meine Frage: Wie kann man eigentlich glaub­haft begrün­den, dass nun aus­gerech­net der christliche (oder der mus­lim­is­che oder der jüdis­che) Gott der wahre und einzige Gott ist? Man kann es offen­sichtlich nur glauben. Selb­st wenn man überzeugt davon ist, bleibt es eine sub­jek­tive Gewis­sheit, eine Glaubensgewissheit.

Es kommt aber im Falle des Gottes Jah­we noch eine pikante Ent­deck­ung dazu. Den aller­meis­ten Gläu­bi­gen ist Fol­gen­des nicht bekan­nt. Jah­we, also der Gott der Juden und der Chris­ten, begann einst als klein­er lokaler Wet­ter­gott auf dem Nord-Sinai und wurde erst nach und nach von den Priestern der dama­li­gen Zeit zum allmächti­gen und all­wis­senden Gott der Juden und später der Chris­ten »aufge­baut«.

Das hat die Reli­gion­swis­senschaft her­aus­ge­fun­den. Ich ver­weise auf zwei the­ol­o­gis­che Habil­i­ta­tion­ss­chriften. Eine davon ist an der Evan­ge­lis­chen Fakultät der Lud­wig-Max­i­m­il­ian-Uni­ver­sität München erschienen mit dem Titel: »Jah­we als Wet­ter­gott. Stu­di­en zur althe­bräis­chen Kult­lyrik anhand aus­gewählter Psalmen«.

Jah­we hat also als lokaler Wet­ter­gott ange­fan­gen und ist nach und nach zum allmächti­gen Schöpfer des Uni­ver­sums aufgestiegen. Er wurde – so jeden­falls sagt es die the­ol­o­gis­che Forschung – nur von den dama­li­gen Priestern zu dieser Größe und All­macht aufge­baut. Woher wollen diese Priester eigentlich ihre Infor­ma­tio­nen über die »wahre Natur« ihres Gottes bezo­gen haben? Das nenne ich jeden­falls eine bemerkenswerte »göt­tliche Karriere«.

Warum sollte dieser so erschaf­fene, von Priestern erdachte Gott nun der defin­i­tiv wahre und einzige Gott sein? Einst ein lokaler Wet­ter­gott auf dem Nord-Sinai und heute der allmächtige, all­wis­sende und all­gütige Gott­vater und Schöpfer des Uni­ver­sums? (Mehr dazu hier: https://hpd.de/node/14258?nopaging=1)

Das schließt gle­ich an den näch­sten Punkt an:

Der bib­lis­che Gott hat sich (min­destens) zweimal fatal geirrt

Da ist zunächst an die Geschichte von der Sint­flut zu erin­nern. Im 1. Buch Mose heißt es: »Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Men­schen zunahm und dass alles Sin­nen und Tra­cht­en seines Herzens böse war. Da reute es den Her­rn, auf der Erde den Men­schen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der Herr sagte: Ich will den Men­schen, den ich erschaf­fen habe, vom Erd­bo­den ver­til­gen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Him­mels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben. Nur Noah fand Gnade in den Augen des Herrn.«

Ich frage mich, warum ein all­wis­sender Gott, der diese Men­schen erschaf­fen hat, nicht voraus­sah, dass der Men­sch sich so bösar­tig entwick­eln wird?

Ein paar tausend Jahre später sieht sich Gott wieder ver­an­lasst einzu­greifen. Er schickt seinen Sohn auf die Erde, um die Sün­den der Men­schen zu übernehmen.

Es heißt: Durch die Erb­sünde, durch seine Ver­an­la­gung, vor allem durch seinen freien Willen seien die Men­schen sündig gewor­den und nicht mehr in der Lage, sich allein aus ihrer sünd­haften Ver­strick­ung zu befreien.

Was ich mich auch hier frage: Warum hat Gott in sein­er Allmächtigkeit und All­wis­senheit einen Men­schen geschaf­fen, der offen­bar schon von sein­er göt­tlichen Anlage her nicht in der Lage ist, ein sün­den­freies Leben zu führen? Warum muss Gott auch hier wieder im Nach­hinein kor­rigierend ein­greifen, um das Schlimm­ste zu ver­hüten? Hat Gott etwa die Erde als Exper­i­men­tier­feld betra­chtet, um zu sehen, was Men­schen mit ihrem – ange­blich – freien Willen alles anrichten?

Dieser Gott ver­hält sich offen­sichtlich wie ein fehlbar­er Men­sch. Deshalb liegt für mich der Gedanke doch sehr nahe, dass dieser Gott das gedankliche Kon­strukt von Men­schen ist. Gott ist von den bib­lis­chen Autoren in ein­er Zeit erdacht wor­den, als man sich eine Welt ohne Gott, ohne eine schöpferische Instanz, die »das alles« her­vorge­bracht hat, ein­fach noch nicht vorstellen konnte.

Ich erin­nere hier an die Feuer­bach-These »Der Men­sch schuf Gott nach seinem Bilde«. Dieser in der Bibel beschriebene Gott zeigt zutief­st men­schlich­es Ver­hal­ten. Er irrt sich, ist ent­täuscht, reagiert wütend oder nach­sichtig, offen­bar je nach Laune. –

Anhand allein dieser vier aufgezählten Ungereimtheit­en und Wider­sprüche wollte ich zeigen, dass man schon ohne beson­dere the­ol­o­gis­che Ken­nt­nisse, allein durch Plau­si­bil­ität­süber­legun­gen erhe­bliche Zweifel an den religiösen Grund­la­gen entwick­eln kann und auch an der Exis­tenz eines Gottes, zumal eines allmächti­gen, all­wis­senden und all­güti­gen Gottes.

Weit­ere solche Plau­si­bil­ität­süber­legun­gen sind denkbar. Zum Beispiel: Warum erschien Jesus nur der weißen Rasse? Warum erst so spät, schließlich haben schon vorher Aber­mil­lio­nen »erlö­sungs­bedürftige« Men­schen gelebt? Warum zeigt sich Gott nicht ein­fach den Men­schen, warum ver­steckt er sich ger­adezu? Warum lässt Gott so viel ver­schiedene, sich wider­sprechende und sich blutig bekämpfende Reli­gio­nen zu? Und manch­es andere mehr.

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Wegen aufge­treten­er Missver­ständ­nisse soll es nochmal betont werden::

Adres­sat­en dieser Argu­men­ta­tions­fol­gen sind in erster Lin­ie jün­gere Men­schen, die sich bish­er nicht mit Reli­gion auseinan­derge­set­zt haben und daher leicht Opfer von religiösen Eifer­ern und Insti­tu­tio­nen wer­den kön­nen. Ange­sprochen sind fern­er nicht mehr Glaubende, denen grif­fige, also leicht ein­se­hbare Argu­mente geliefert wer­den sollen für Diskus­sio­nen mit religiös leicht Ver­führbaren oder schon an ihrem Glauben Zweifel­nden oder mit nur schein­bar Überzeugten. Bei Let­zteren zeigt sich oft, dass ihnen die intellek­tuellen und moralis­chen Zumu­tun­gen ihres Glaubens gar nicht bewusst sind, weil sie nur einem all­ge­meinen Gottes­glauben anhän­gen, sich aber Chris­ten nennen.

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Sys­tem­a­tis­ch­er und gründlich­er wer­den diese und viele weit­ere Fra­gen zu Chris­ten­tum und Reli­gion behan­delt in dem Buch »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christlichen Glauben zu ein­er nat­u­ral­is­tisch-human­is­tis­chen Weltan­schau­ung«. Tec­tum Wis­senschaftsver­lag, 2018, 7. voll­ständig über­ar­beit­ete Auflage. Speziell zu obigem Beitrag find­en sich Aus­führun­gen in Kapi­tel V und in Teilen von Kapi­tel VI.

Mehr zum Buch über den Buch­versender Ama­zon. Siehe dort den Ein­führung­s­text und die Buchkri­tiken. Zurzeit schneller über den Buch­han­del – Lieferzeit ein oder zwei Tage.

Aus­führlich­er führt die vor­liegende Inter­net­seite https://warum-ich-kein-christ-sein-will.de/ in das Buch ein, u.a. mit Leseproben, Lesun­gen und Inter­views mit mir.

Die Texte hier dür­fen unter Angabe der Quelle gern kopiert oder auch ver­linkt werden.

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