Warum ich nicht glauben kann – Folge 7: Gemeinsamkeiten zwischen säkularen Humanisten und gläubigen Christen

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Ich habe in den letz­ten sechs Folgen den Ver­such unter­nom­men zu begrün­den, warum ich und viele meiner welt­an­schau­li­chen Freunde nicht mehr an eine tran­szen­dente Macht glau­ben können und glau­ben wollen.

Bevor ich zum Abschluss dieser sie­ben­tei­li­gen Folge einen Punkt anspre­che, der die Gemein­sam­kei­ten zwi­schen säku­la­ren Huma­nis­ten und gläu­bi­gen Chris­ten the­ma­ti­siert – trotz aller Kritik und Ableh­nung – möchte ich vorab einen kurzen Abschnitt aus meinem Buch vortragen.

Es ist geht dabei um Anklage wie Aner­ken­nung. Ich unter­scheide dabei sehr wohl zwi­schen der Lehre und den Menschen:

»Diese Reli­gion, diese ideo­lo­gi­sche Kon­struk­tion, bildet die Ursa­che einer unglaub­lich großen Zahl an Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit, die stets im Namen des ange­be­te­ten Gottes erfolg­ten und die dieser angeb­lich barm­her­zige Gott doch nie ver­hin­dert hat.  Auch wenn diese Reli­gion  gleich-zeitig sehr vielen Men­schen Trost, Hilfe und Lebens­sinn gege­ben hat und noch immer gibt, ist das für mich nicht im Gerings­ten ein Beleg für ihren Wahr­heits­ge­halt. Vor allem der mora­li­sche Gehalt großer Teile der Bibel bewegt sich weit unter­halb der durch Auf­klä­rung, Men­schen­rechts­er­klä­run­gen und staat­li­che Ver­fas­sun­gen, zum Bei­spiel die der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, gesetz­ten Stan­dards und wird daher von mir als Maß­stab meines Han­delns abge­lehnt. Ich emp­fand zeit­le­bens den Wider­spruch empö­rend zwi­schen der ver­kün­de­ten Lehre und der Jahr­tau­sende wäh­ren­den Praxis des Groß­teils der füh­ren­den Reprä­sen­tan­ten der Kirche.  Ich sehe dabei  zu-gleich das mutige und auf­op­fe­rungs­volle Bemü­hen unzäh­li­ger Pfar­rer, Pfar­re­rin­nen und ande­rer über­zeug­ter Chris­ten, die dieser Lehre anhän­gen, dabei aber nicht selten auf die Stimme ihres Her­zens hörten und hören. Was ich etwas pathe­tisch als »Stimme des Her­zens« bezeichne, ist für mich das Ergeb­nis einer bio­lo­gi­schen, sozia­len und kul­tu­rel­len Evo­lu­tion. Im Zwei­fel ließen sie ihr Gefühl und ihre Ein­sicht spre­chen, statt den Wei­sun­gen von Bischö­fen und Päps­ten oder frag­wür­di­gen Gebo­ten hei­li­ger Texte zu folgen.

Ich möchte hier noch einmal fest­hal­ten: Mich trennt sehr viel von den intel­lek­tu­el­len Zumu­tun­gen des christ­li­chen Glau­bens und dem anma­ßen­den poli­ti­schen Anspruch der Kir­chen. Mich trennt schon sehr viel weni­ger von einem enga­gier­ten Kir­chen­mann, der Nächs­ten­liebe und Soli­da­ri­tät mit Schwa­chen und Benach­tei­lig­ten tat­säch­lich prak­ti­ziert. Denn je mehr ein Pfar­rer oder eine Pfar­re­rin sich um Men­schen in Bedräng­nis und Leid küm­mert, umso weni­ger hat er oder sie Zeit und Anlass, bibli­sche Legen­den zu ver­kün­den. Mich ver­bin­det viel mit einem ein­fa­chen Kir­chen­mit­glied, dessen Bekennt­nis zwar darin besteht, ganz all­ge­mein an Gott zu glau­ben, dessen Bemü­hen sich ansons­ten im Wesent­li­chen darin aus­drückt, ein »guter Christ« sein zu wollen, was aber meist nur heißt, dass er im wohl­mei­nen­den Sinn ein »guter Mensch« sein will – mit­füh­lend, hilfs­be­reit, aufrichtig.«

(Aus: »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung«, Tectum Wis­sen­schafts­ver­lag 2018, 7. Auf­lage, S. 472)

Gemein­sam­kei­ten zwi­schen säku­la­ren Huma­nis­ten und gläu­bi­gen Christen

In diesem zum Schluss ange­spro­che­nen mora­li­schen Kern sehe ich vor allem die Gemein­sam­kei­ten zwi­schen Chris­ten und säku­la­ren Huma­nis­ten. Chris­ten sehen die Moral in Gott ver­an­kert, wir Huma­nis­ten begrün­den sie mit Ver­nunft­ar­gu­men­ten. Wobei Chris­ten viel­leicht sagen werden, dass sie darin keinen Unter­schied sähen, weil auch für sie sich in Gottes Willen die Ver­nunft wider­spie­geln würde.

Gott­be­zo­gen­heit oder Ver­nünft­gründe müssen in der huma­ni­tä­ren Praxis abso­lut keinen Gegen­satz bilden. Im Gegen­teil – im Bereich der sozial und mora­lisch begrün­de­ten Akti­vi­tä­ten können wir uns tref­fen. Muss man an Gott glau­ben, um für Mit­mensch­lich­keit ein­zu­tre­ten, für Gerech­tig­keit, für Ver­ständ­nis und Nach­sicht? Ich denke, nein. Auch wenn die antrei­ben­den Motive unter­schied­lich sein mögen, es gilt bekannt­lich der Satz: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es«.

Denn was uns ver­bin­det, zumin­dest ver­bin­den sollte, ist die im Prin­zip glei­che Moral: Du sollst nicht lügen und nicht betrü­gen. Du sollst nicht steh­len und nicht danach ver­lan­gen, was Dir nicht gehört. Du sollst die Unver­letz­lich­keit und das Leben eines Men­schen achten, Du sollst nicht töten. Aber auch Akti­vi­tä­ten der Mit­mensch­lich­keit ver­bin­den uns: Du sollst dem ande­ren in phy­si­scher und psy­chi­scher Not, soweit es Dir mög­lich und zumut­bar ist, bei­ste­hen. Wir nennen das Solida-rität, Chris­ten nennen es Nächs­ten­liebe oder Barm­her­zig­keit. Dass übri­gens welt­weit diese Über­ein­stim­mun­gen in grund­le­gen­den mora­li­schen Gebo­ten zu beob­ach­ten sind, ist auf die evo­lu­tio­nä­ren Wur­zeln der Moral zurückzuführen.

Hinzu kommt eine weit­ge­hend unbe­kannte Säku­la­ri­sie­rung auch der gläu­bi­gen Chris­ten, zumin-dest gilt das für Berlin.

Im Früh­jahr 2016 führte EMNID eine Befra­gung der Ber­li­ner Bevöl­ke­rung durch. Unter ande­rem wurde gefragt, ob man der fol­gen­den Aus­sage voll und ganz bzw. eher zustim­men würde: »Ich führe ein selbst­be­stimm­tes Leben, das auf ethi­schen und mora­li­schen Grund­über­zeu­gun­gen beruht und frei ist von Reli­gion und Glau­ben an einen Gott«.

74% aller Befrag­ten stimm­ten der Aus­sage zu, ledig­lich 23% der Befrag­ten sagten, dass diese Aus­sage eher nicht bzw. über­haupt nicht auf sie zutreffe. Dabei ist über­ra­schend, dass auch 64% der Pro­tes­tan­ten und 57% der befrag­ten Katho­li­ken der Aus­sage eben­falls zustimm­ten, dass sie ein »Leben frei von Reli­gion und Glau­ben« führten.

Diese Zahlen machen deut­lich, dass die Mit­glied­schaft in einer Reli­gi­ons­ge­mein­schaft nicht aus-schließt, von der offi­zi­el­len Lehre stark abwei­chende Lebens­auf­fas­sun­gen zu ver­tre­ten. Auf­fal­lend war bei dieser Befra­gung ferner, dass mit stei­gen­dem Bil­dungs­grad die Zustim­mung zur huma­nis­tisch-säku­la­ren Lebens­auf­fas­sung wächst.

Berlin ist zwar nicht reprä­sen­ta­tiv für Deutsch­land, wohl aber in der Ten­denz typisch für deut­sche Groß­städte. Fest­stel­len lässt sich jeden­falls anhand dieser, aber auch vieler ande­rer ver­gleichba-rer Erhe­bun­gen, dass von einer brei­ten Ver­an­ke­rung des Got­tes­glau­bens in der deut­schen Bevöl­ke­rung kaum noch gespro­chen werden kann.

Ange­sichts dieser redu­zier­ten Form von Gläu­big­keit und auch aus Grün­den einer zu beob­ach­ten­den all­ge­mei­nen »Reli­gi­ons­mü­dig­keit« – im Gegen­satz zu den reli­gi­ons­po­li­ti­schen Akti­vi­tä­ten der beiden Groß­kir­chen! – erlaube ich mir zum Schluss einen kurzen Blick in die Zukunft der Kirche:

Zur Zukunft der Kir­chen: Beto­nung der mora­li­schen und sozia­len Kompetenz

Folie 17:

Ich ver­mute stark, dass der christ­li­che Opfer­my­thos und der Glaube an die ver­kün­digte Auf­er­steh-ung weiter an Bedeu­tung ver­lie­ren werden. Es wird auf einen all­ge­mei­nen Got­tes­glau­ben hin­aus­lau­fen, der aller­dings wird sich noch lange halten. Denn die Sehn­sucht auch nach einer spiri-tuel­len Ori­en­tie­rung, nach einem gött­li­chen Beschüt­zer, nach einer geist­li­chen Füh­rung im Leben beherrscht nach wie vor viele Menschen.

Die Kir­chen ver­lie­ren bekannt­lich immer mehr Mit­glie­der, aber auch der eigent­li­che christ­li­che Glaube der in der Kirche ver­blei­ben­den Men­schen ver­blasst immer stär­ker. Die Kir­chen ver­su­chen daher ihre Kom­pe­tenz auf ande­ren Gebie­ten, zum Bei­spiel in der sog. Bewah­rung der Schöp­fung, vor allem aber im sozia­len Bereich zu beto­nen. Weiter an Bedeu­tung gewin­nen wird daher die mora­li­sche und soziale Kom­po­nente der christ­li­chen Reli­gion. Diese Kom­po­nente wird sich dabei noch mehr als bisher auf die Person Jesus als mora­li­sches Ideal und Vor­bild stüt­zen. Dabei ist es völlig uner­heb­lich, ob der Jesus der Bibel so tat­säch­lich exis­tierte oder ob er von der Theo­lo­gie als eine reli­giöse Ide­al­fi­gur, als Sinn­bild von Barm­her­zig­keit und Gerech­tig­keit so kon­stru­iert wurde.

Ethisch-mora­li­sche Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen Chris­ten und säku­la­ren Huma­nis­ten finden sich zum Bei­spiel in den fol­gen­den Bibelstellen:

»Was ihr getan habt einem unter diesen Gerings­ten, das habt ihr mir getan« (Mat­thäus-Evan­ge­lium 25,40). Im Gleich­nis vom barm­her­zi­gen Sama­ri­ter (Lukas-Evan­ge­lium 10,25–37) wird dem Not­lei­den­den gehol­fen, weil er ein Mensch ist, dessen anders­ar­ti­ger Glaube in diesem Fall ohne Bedeu­tung sei. Die Nach­sicht mit einer zu stei­ni­gen­den Ehe­bre­che­rin gip­felt in dem Vor­halt: »Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« (Johan­nes-Evan­ge­lium 8,7). In der Berg­pre­digt (Mat­thäus-Evan­ge­lium, Kap.5) heißt es unter ande­rem: »Selig sind, die da hun­gert und dürs­tet nach Gerech­tig­keit« oder »Selig sind die Friedfertigen«.

Ich ver­mute und hoffe, dass säku­lare Welt­an­schau­ung und christ­li­che Lehre der­einst die Prin­zi­pien des Huma­nis­mus – etwa Wahr­heits­liebe, Soli­da­ri­tät, welt­an­schau­li­che Tole­ranz, Gleich­be­rech­ti­gung, … – nicht nur gemein­sam prak­ti­zie­ren, son­dern auch gemein­sam ver­tei­di­gen werden. Wenn auch viel­leicht mit je unter­schied­li­cher Begründung.

Der gläu­bige Mensch ver­spricht sich einen schö­nen Platz im Himmel oder viel­leicht posi­ti­ves Karma, das ihm in seinem nächs­ten Leben zugu­te­kommt. Der säku­lar ein­ge­stellte Mensch wird eher aus Ein­sicht für den sozia­len Frie­den und das gesell­schaft­li­che Wohl­erge­hen und damit eigent­lich auch des eige­nen Befin­dens wegen Soli­da­ri­tät und Hilfs­be­reit­schaft zeigen. Manche Men­schen werden ein­fach spon­tan aus einem inne­ren Bedürf­nis heraus helfen wollen. Letzt­lich ent­schei­dend ist das Han­deln, nicht das Motiv. Erich Käst­ner for­mu­lierte einmal tref­fend den oben schon erwähn­ten Satz: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«

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Sys­te­ma­ti­scher und gründ­li­cher werden diese und viele wei­tere Fragen zu Chris­ten­tum und Reli­gion behan­delt in dem Buch »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung«. Tectum Wis­sen­schafts­ver­lag, 2018, 7. voll­stän­dig über­ar­bei­tete Auflage.

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Aus­führ­li­cher führt die vor­lie­gende Inter­net­seite https://warum-ich-kein-christ-sein-will.de/ in das Buch ein, u.a. mit Lese­pro­ben, Lesun­gen und Inter­views mit mir.

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